Planetary Health Diet - der planetarische Speiseplan soll Menschen und Erde retten. Die Zusammenstellung der empfohlenen Lebensmittelgruppen ist allerdings erst einmal wenig überraschend. Sie gleicht weitestgehend den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Die Herausforderung ist vielmehr, unser Ernährungssystem so zu verändern, dass die Umsetzung dieser Empfehlungen möglich wird. Es braucht nicht weniger als eine radikale globale Ernährungswende - The Great Food Transformation - , stellen die 37 Wissenschaftler*innen der EAT-Lancet Kommission fest. Gelingt sie, dann würden Lebensmittel aus nachhaltiger Erzeugung zur neuen Normalität.
Unser Ernährungssystem ist der größte Verursacher von Umweltzerstörung, heißt es in dem Bericht: „Food in the Anthropocene“ der „EAT–Lancet Commission on Healthy Diets from Sustainable Food Systems“. Es trägt maßgeblich zum Klimawandel bei, zum Verlust der biologischen Vielfalt, der Übernutzung von Wasser und Land sowie zur Stickstoff- und Phosphorbelastung der Böden und Gewässer. So wird unser modernes Ernährungssystem zum Ernährungsrisiko. Denn mit jedem Grad Temperaturerhöhung sinken weltweit die Ernteerträge der wichtigsten Nutzpflanzen. Fast die Hälfte der weltweiten Nahrungsmittelproduktion überschreitet die planetaren Belastungsgrenzen. Gleichzeitig verursacht die globale Verbreitung von ungesunden Ernährungsmustern mehr Krankheiten als andere Gesundheitsrisiken wie ungeschützte Sexualpraktiken, Alkohol, Drogen und Tabak zusammengenommen. Die Transformation unseres Ernährungssystems ist also aus beiden Gründen dringend geboten.
Soll-Ist Lücke: Veränderungen auf den Tellern
Die Zusammensetzung der Planetary Health Diet gleicht in etwa der mediterranen Diät der 50er Jahre. Die Herausforderungen werden deutlich, wenn man die Empfehlungen mit dem
Verzehr abgleicht. Die Verzehrsmuster in Europa müssten sich grundlegend ändern: Der Anteil an pflanzlichen Lebensmitteln wie Obst, Gemüse, Vollkorn, Hülsenfrüchten und Nüssen müsste sich mehr als verdoppeln, der Fleischverzehr hingegen stark sinken, insbesondere der von rotem Fleisch. Auch die Empfehlungen für Zucker liegen deutlich unter unseren Verzehrsmustern. Lediglich bei den Milchprodukten liegen wir in Deutschland im grünen Bereich, zieht man die Daten der Nationalen Verzehrsstudie heran. Die vergangenen 60 Jahre Ernährungsaufklärung und Bildung haben deutlich gezeigt, dass es nicht ausreicht, wissenschaftlich fundierte Ernährungsempfehlungen zu entwickeln und darüber zu informieren. Denn sie sind praktisch nicht umsetzbar in einem Ernährungsumfeld, das ein ganz anderes Angebot vorhält und auch ganz andere Produkte bewirbt als die empfehlenswerten.
Paradigmenwechsel auf mehreren Ebenen
Erforderlich ist ein Richtungswechsel in mehrfacher Hinsicht. Das beginnt mit der Frage, wie die Folgekosten der industriellen Massenproduktion bei den Lebensmittelpreisen berücksichtigt werden. Mit Hilfe des True Cost Accounting lassen sich diese Kosten immer besser abschätzen. So kam eine britische Studie Ende 2017 zu dem Ergebnis, dass die Verbraucher*innen bei jedem Einkauf zweimal zur Kasse gebeten werden. Für jedes britische Pfund, das für konventionelle Lebensmittel ausgegeben wird, entsteht ein weiteres Pfund an Folgekosten für Umwelt- und Gesundheitsschäden. Ein Grund dafür ist, dass die Belastung von natürlichen Ressourcen wie Grundwasser, Atmosphäre oder der biologischen Vielfalt praktisch nichts kosten, während die Lohnnebenkosten erheblich sind und zu den wichtigsten Steuereinnahmen unseres Staates zählen. Unser Steuersystem bevorzugt damit unweigerlich Unternehmen, die Arbeitskraft sparen und die Umwelt belasten. Dieses Problem bekommt man nur mit einer sozial-ökologischen Steuerreform in den Griff.
Auch im Bereich der Verbraucherbildung verlässt die Eat Lancet Kommission ausgetretene Pfade. Bildungskampagnen seien deutlich weniger wirkungsvoll als Steuerreformen, stellen sie fest. Sie können aber die Akzeptanz von ordnungsrechtlichen Maßnahmen erhöhen.
Der Große Ernährungswandel - ein Blick zurück aus der Zukunft
Der folgende Abschnitt beschreibt einige zentrale Ansatzpunkte einer großen Ernährungstransformation im Sinne eines Backcasting, das heißt aus der Perspektive einer wünschenswerten Zukunft. Wenn wir also davon ausgehen, dass wir im Jahre 2050 die große Ernährungstransformation bewältigt haben, dann ist das nur gelungen, weil wir auf vielen Ebenen gleichzeitig Maßnahmen ergriffen haben. Dazu gehören die folgenden:
Die verantwortlichen Akteur*innen haben rückblickend in den 2020er Jahren dafür gesorgt, dass internationale und nationale Vereinbarungen geschlossen und umgesetzt wurden. Dazu gehörte zum Beispiel die weltweite Reduzierung von Lebensmittelabfällen um 50 Prozent sowie die Standardisierung von True Cost Accounting, so dass die Lebensmittelpreise die wahren Kosten abbildeten. Erst dadurch wurde eine nachhaltige und faire Lebensmittelerzeugung, -verarbeitung und -distribution wettbewerbsfähig.
Eine neue landwirtschaftliche Revolution sorgte dafür, dass innovative landwirtschaftliche Praktiken weltweit zum Aufbau von Humus und damit zur Einlagerung von CO2 führten. Insgesamt wurden weltweit 50 Prozent mehr Obst und Gemüse und 150 Prozent mehr Nüsse produziert und die biologische Vielfalt wieder gesteigert. Die Erzeugung von tierischen Lebensmitteln wurde an die regionalen Gegebenheiten angepasst. In der Ernährungspolitik wurde ebenfalls seit 2020 konsequent der Settingansatz der WHO verfolgt, so dass die gesunde und nachhaltige Wahl die einfache wurde. Regierung, Industrie und Zivilgesellschaft haben gemeinsam daran gearbeitet, die Werbung und Marketing für ungesunde und wenig nachhaltige Lebensmittel einzuschränken.
All diese Maßnahmen sorgten dafür, dass sich das Lebensmittelangebot kontinuierlich verbesserte. Das wiederum hatte positive Effekte auf die Verzehrsmuster der Bevölkerung.
Entscheidend aber war, dass die Ernährungswende zunächst durch ein Umdenken eingeleitet wurde, nämlich durch die Erkenntnis, dass kein*e einzelne*r Akteur*in und keine
singuläre Maßnahme in der Lage sind, den Systemwandel herbeizuführen, dass Wissenschaft und evidenzbasiertes Vorgehen die Basis der Transformation sein müssen und eine Vielzahl weicher bis harter politischer Maßnahmen und Instrumente erforderlich sind.
Dr. Gesa Maschkowski ist Gastdozentin an der Universität Bonn, freiberufliche Transition Trainerin und Wissenschaftsredakteurin am Bundeszentrum für Ernährung, E-Mail: gesa.maschkowski(at)ilr.uni-bonn.de
Dieser Artikel ist zuerst hier erschienen
Impu!se für Gesundheitsförderung. Nr. 107. 2. Quartal Juni 2020. S. 11-12, ISSN 1438-6666. URL: https://www.gesundheit-nds.de/index.php/medien/impulse