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Interview

Der Acker bleibt! Lokales Engagement für den Erhalt landwirtschaftlicher Flächen

In Deutschland wurden in den vergangenen Jahren täglich über 50 Hektar Boden versiegelt. Wenn in direkter Umgebung fruchtbares Ackerland, Wälder oder Wiesen durch Bauvorhaben bedroht sind, muss (und sollte) jedoch nicht tatenlos zugesehen werden. Im Gespräch mit Simon Arbach erfahren wir, warum es sich lohnt, auf lokaler Ebene für den Erhalt ökologisch wertvoller Böden aktiv zu werden.

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© BI für ein lebenswertes Neu-Eichenberg

Über Bauvorhaben, die mit der Versiegelung landwirtschaftlich nutzbarer Flächen einhergehen, wird häufig auf kommunaler Ebene entschieden. Und das obwohl der Verlust von Böden angesichts des Klimawandels und der zunehmenden Degradierung landwirtschaftlich nutzbarer Flächen ein Problem globaler Tragweite ist. Auch in der Gemeinde Neu-Eichenberg, 20 km südlich von Göttingen, wird seit einiger Zeit um die Versiegelung von Boden für den Bau eines Logistikgebietes gerungen. Die 80 Hektar (das entspricht 800.000 m² oder 112 Fußballfeldern) hochwertiger Ackerboden (in der Region rund um Neu-Eichenberg mittlerweile als "der Acker" bekannt) sind bereits seit 20 Jahren für die Bebauung ausgeschrieben. Vor zweieinhalb Jahren rückte diese durch die Interessenbekundung eines Investors plötzlich in greifbare Nähe. Daraufhin wurden Menschen aus der Gemeinde aktiv, um sich gegen die Flächenversiegelung zu wehren. Einer davon ist Simon Arbach. Mit seiner Arbeit als Gärtner im „Gemüse-Kollektiv Dorfgarten“ ist er eigentlich gut beschäftigt. Trotzdem investiert er (neben vielen anderen engagierten Einwohner*innen) Zeit und Energie in politische Arbeit für den Erhalt der Fläche als landwirtschaftlich nutzbarer Ackerboden.

 

 

Du bist Teil einer Bürgerinitiative, die sich seit zweieinhalb Jahren dafür stark macht, den Bau eines Logistikgebietes in Neu-Eichenberg zu verhindern. Welche persönliche Motivation steckt hinter Deinem Engagement?

Gerade wenn man in der Landwirtschaft aktiv ist oder sich mit dem Thema Flächenbewirtschaftung beschäftigt, merkt man, dass der Zugang zu Land gerade für junge landwirtschaftliche Projekte schwierig ist. Dann ist es völlig unverständlich, dass hochwertige Ackerböden versiegelt werden sollen und der Landwirtschaft dadurch entzogen werden.

 

An welchem Punkt hast Du entschieden, Dich gegen den Bau des Logistikgebietes zu engagieren?

Als wir unseren Hof hier im Dorf vor wenigen Jahren gekauft haben, war das Thema nicht so präsent. Dann ist es nach und nach in der Presse hochgekommen und es wurde deutlich, mit welchen einseitigen Informationen an die Öffentlichkeit das Projekt vorangetrieben werden sollte und welche Ausmaße das Projekt annehmen würde. Da war uns schon irgendwie klar, dass wir aktiv werden und die Leute aufklären wollen.

 

Mit welchen Mitteln verfolgt Ihr Euer Anliegen?

Ganz am Anfang ging es darum erst einmal Räume zu eröffnen. Das Thema wurde klein gehalten und Kritik am Bauvorhaben wurde kaputt geredet. Deshalb war es ganz wichtig, Menschen überhaupt einen Raum zu geben, in dem sie darüber diskutieren und ihre Ängste und Überlegungen teilen konnten. Zunächst waren das sogenannte Themenwerkstätten, die wir als Gemüsekollektiv zusammen mit dem Hofprojekt veranstaltet haben. Unter dem Stichwort „Den Ausstieg denken“ ging es darum, den Ausstieg aus dem Bauvorhaben als echte Option sichtbar zu machen. Zu der Zeit waren Bürgermeisterwahlen und beide Kandidaten sagten „Das Projekt steht und wir können da jetzt nicht mehr zurück“.
Danach ging es mit der Bürgerinitiative sehr viel um eine inhaltliche Auseinandersetzung, da viele Falschinformationen im Umlauf waren. Wir haben dann Flyer verfasst und an alle Haushalte verteilt, worin viele Aspekte um das Logistikgebiet aufgegriffen wurden. Zum Beispiel die Problematik mit den Arbeitsplätzen, dem Klimawandel, der Wirtschaftlichkeit.
Ansonsten haben wir viel mit Druck auf der Straße gearbeitet, Demonstrationen veranstaltet, unter anderem mit Fridays for Future Aktionen organisiert. Dabei wurden auch kreative Elemente genutzt, z.B. ein Straßentheater im Rahmen einer Bürgerversammlung. Insgesamt haben wir von einer großen Vielfalt an Aktionsformaten profitiert.
Darüber hinaus haben Teile der Bürgerinitiative eine große Nähe zu anderen Akteur*innen, die den Widerstand ebenfalls stark vorangetrieben haben. In erster Linie ist da die Ackerbesetzung zu nennen, die seit etwa eineinhalb Jahren auf der Fläche stattfindet.

Von welchen Gruppen habt Ihr noch Unterstützung bekommen und wie konnten diese Euer Engagement ergänzen?

Ein großer Vorteil war, dass sich mit der Zeit eine sehr heterogene Akteursstruktur entwickelt hat. Es hat sich beispielsweise noch ein Ortsverband des BUND gegründet, der ganz andere Möglichkeiten für Klagen und Beschwerden hat, vor allem naturschutzrechtlicher Art. Es hat sich außerdem eine Ortsgruppe von Fridays for Future in Hebenshausen gegründet, durch die wir noch einmal an andere Netzwerke angeschlossen sind. Studierende der Uni Witzenhausen haben eine Initiative zur Erarbeitung von Nutzungsalternativen für die Fläche ins Leben gerufen und auch Scientists for Future ist aktiv geworden. Gerade im Zusammenspiel mit Studierenden der Uni Witzenhausen wurden Aktionen auf die Beine gestellt, die glaube ich auch für die Gemeinde eindrücklich waren. Zum Beispiel wurden für eine Aktion über 50 Schlepper und fast tausend Menschen mobilisiert. Diese Aufzählung an Akteuren erhebt übrigens keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

 

Habt Ihr auch versucht durch Vernetzung und Austausch mit politischen Entscheidungsträger*innen weiterzukommen?

Das war häufig eine strategische Debatte. Die Frage war, ob wir mit den Gemeindevertreter*innen andere Mehrheiten schaffen können oder das ganze auf kommunaler Ebene oder an anderen Orten verhindern müssen. Mit den Grünen, die schon von Anfang an gegen das Logistikgebiet kämpfen, gab es einen ganz guten Austausch und auch sonst gab es sehr viele Einzelgespräche, z.B. zwischen der BI und der Fraktion der CDU oder SPD. Sonst hatten wir auch auf landespolitischer Ebene Kontakte, denn die Flächen gehören ja z.T. dem Land Hessen. Da hatten wir z.B. Unterstützung von der Linken bei parlamentarischen Anfragen.

In der lokalen Bevölkerung haben Initiativen gegen den Bau eines Logistikgebietes nicht nur Rückhalt, sondern auch Gegenwind erfahren. Gab es seitens der Befürworter*innen eines Logistikgebietes den Versuch, den Widerstand möglichst klein zu halten?

Ja, auf jeden Fall. Es war beispielsweise so, dass vereinzelt sehr rabiat vorgegangen wurde und Menschen diffamiert wurden, die sich kritisch zum Logistikgebiet geäußert haben. Wenn man heute durch die Dörfer in der Gegend läuft, findet man vielleicht schon an jedem 7. Haus irgendwelche Banner gegen das Logistikgebiet. Darüber gab es anfangs lange Diskussionen, ob man das als Einwohner*in machen will und sich so politisch outet. Es wurde wegen möglichen Konsequenzen davor zurückgeschreckt, z.B. dass man auf der Straße dumm angemacht wird. Es brauchte fast drei Jahre Arbeit, um diese offene Protestkultur zu etablieren.

 

Mit welchen Erwartungen begründen die Befürworter*innen eines Logistikgebietes ihre Haltung?

Geld, Arbeitsplätze. Und generell die Entwicklung der Gemeinde. Das würde ich sagen, sind die Kernthemen, die viel zur Sprache kommen. Mittlerweile geht es auch viel um die ca. 2 Millionen Euro Schulden, die sich über den gesamten Planungsprozess angehäuft haben, die für so eine kleine Gemeinde auch nicht ganz unbedeutend sind. Arbeitsplätze sind natürlich auch ein schwieriges Thema. Man weiß nicht wer kommt und hier investiert, man weiß nicht was für Arbeitsplätze entstehen und wie viele.

 

Wie könnt Ihr solchen Argumentationslinien möglichst konstruktiv begegnen?

Bezüglich der Arbeitsplätze ist das eher schwierig. Es ist nämlich nicht leicht, einen differenzierten Diskurs zu führen, wie man mit Jobs, die ja vor allem in der Logistikbranche oft prekär und wenig attraktiv sind, umgehen will und potenziellen Arbeiter*innen gegenüber in diesem Diskurs respektvoll bleibt. Und dann stellt sich die Frage der weiteren Entwicklung der Arbeit in der Logistikbranche. Ist Arbeitskraft weiterhin so günstig, dass es sich nicht lohnt, sie mit vollautomatisierten Robotern zu ersetzen oder werden Arbeitsplätze perspektivisch wieder abgebaut?
Weiterhin diskutieren wir bezüglich der Wirtschaftlichkeit vor allem zwei Punkte. Einerseits gibt es die Schulden der Gemeinde, also die aufgelaufenen Planungskosten, die ein potenzieller Investor dann einfach so mal aus der Tasche schütteln soll. Da gab es verschiedene Vorschläge, wie ohne die Bebauung damit umgegangen werden könnte. Es gab die Idee, einen Förderverein zu gründen, der das über die Zeit zusammensammelt. Denn wenn man die Kosten auf jeden Einwohner und andere Akteure zusammenrechnet und über ein paar Jahre stundet, wäre das auch stemmbar. Das ist bisher leider nicht auf offene Ohre gestoßen.
Hinzu kommt die Frage der laufenden Einnahmen, die sich von einem Logistikgebiet versprochen werden, also vor allem Grundsteuereinnahmen und zum Teil Gewerbesteuereinnahmen. Diesbezüglich hat die BI schon einiges erreicht. Zum einen gab es vorletzten Winter ein Wirtschaftlichkeitsgutachten, bei dem sich herausgestellt hat, dass diese Einnahmen wesentlich geringer ausfallen würden als bisher erwartet. Wenn dann noch der kommunale Finanzausgleich (ein Finanzausgleich zwischen besonders finanzstarken und finanzschwachen Gemeinden) mit einkalkuliert wird, bleibt de facto für die Gemeinde nichts übrig. Das hat auch viele Gemeindevertreter*innen sehr nachdenklich gestimmt.

Was konnte mit dem Engagement für den Erhalt der landwirtschaftlichen Flächen noch alles erreicht werden?

Neben der bereits erwähnten offenen Protestkultur haben wir einen sehr guten Zusammenhalt und ein gutes Netzwerk in der BI erreicht. Es war uns möglich, im Rahmen des Widerstandes viele Menschen kennenzulernen und gemeinsam etwas zu bewegen, das hat auch die Menschen in der Gemeinde betroffen und man hat gemerkt,dass das die Lebensqualität in der Gemeinde verbessert hat.

Nicht zuletzt konnte der Bau des Logistikgebietes mindestens stark verzögert werden. Es gab schon sehr konkrete Pläne eines Investors, der das Logistikgebiet komplett bebauen wollte. Der ist aber dank des Widerstandes von seinem Vorhaben abgerückt. Zwischenzeitlich gab es dann eine Mehrheit im Gemeindeparlament, die sich für die Suche nach Alternativen ausgesprochen hat. Das sind schon einige Errungenschaften.
Und jetzt sind wir an dem Punkt, dass die SPD vorgeschlagen hat, nur noch 55 % des Gebietes zu bebauen und 45 % zu lassen. Da fehlen ja eigentlich nur noch 55 %.

 

Du hast erwähnt, dass es eine Initiative und einen Arbeitskreis gibt, die sich mit alternativen Nutzungskonzepten für die umkämpfte Fläche befassen. Hat deren Arbeit etwas am politischen Diskurs oder an Meinungen und den Mehrheitsverhältnissen verändert?

Ich glaube dafür ist es noch etwas zu früh. Vielleicht teilweise, allerdings gab es auch z.T. wenig Bereitschaft sich damit auseinanderzusetzen.
Inwiefern mit dem Arbeitskreis für Alternativen eine ausgeglichene Bürgerbeteiligung realisiert wurde ist fraglich. Außerdem wurde der Prozess nun durch den Gemeindevorstand doch recht abrupt wieder beendet. Der meinte, es müssten nun wieder Bebauungspläne offen gelegt werden. Dabei sollte es ja eigentlich erst einmal darum gehen, Nutzungsmöglichkeiten zu bewerten und gegeneineinander abzuwägen.

 

Der politische Prozess rund um die Planung verlief auch an anderen Stellen nicht immer transparent und fair. Was würdest Du Dir für strukturelle Veränderungen in der Gemeindepolitik wünschen, die eine demokratische Entscheidungsfindung mit ausgeglichener Beteiligung in Zukunft fördern könnten?

Wir haben ja in ein paar Monaten Kommunalwahl und damit werden sich schon ein paar Veränderungen vollziehen. Themen sind z.B. Bürgerbeteiligung und Transparenz. Diese beiden Punkte haben sich insbesondere die Grünen und zwei neu gegründete Listen auf die Fahnen geschrieben, die zur Wahl antreten. Einfach weil zu wenig aus politischen Planungsprozessen nach außen dringt und weil zu wenig Bereitschaft besteht, Themen mit Bürger*innen zu diskutieren.
Wir hatten in den letzten Jahren eine Bürgerversammlung gehabt und dabei konnte sich der damalige potenzielle Investor Dietz mit schicken bunten Bildern präsentieren und alle überzeugen, aber man hatte selbst gefühlt kein Rederecht. Das kann eigentlich nicht sein.

 

Gab es Momente in denen Ihr Euer Anliegen verloren geglaubt habt?

Es gab auf jeden Fall Motivationslöcher. Es ist schon krass, so lange an einem Thema zu arbeiten und mit unterschiedlichen Vorstellungen umzugehen, wo es hingehen soll und was man prioritär behandelt.

 

Angenommen, auch in meinem Heimatort würde von der Kommunalpolitik ein Bauvorhaben verfolgt, das mir aus ökologischen Gründen gehörig gegen den Strich geht. Was würdest Du mir raten, wenn ich mich dagegen zur Wehr setzen wollte?

Was hier den Widerstand sehr stark gemacht hat, ist eine hohe Vielfalt an Akteuren. Also Menschen, die hier vor Ort agieren und gut vernetzt sind, aber auch sehr unterschiedliche Mittel einsetzen, um ihre Ziele zu erreichen.
Außerdem ein vorsichtiges und prozessorientiertes Agieren. Beispielsweise wurde die Ackerbesetzung nicht einfach so gestartet, sondern sie ist thematisch eingebettet worden. Wir haben erst Aufklärungsarbeit betrieben und Demos gemacht, dann wurde eine Probebesetzung gestartet und dann erst die ständige Besetzung. Denn direkte Aktionen oder Aktionen des zivilen Ungehorsams sind im ländlichen Kontext einfach wenig erprobt und viele sind hier nicht damit vertraut. Damit muss sensibel umgegangen werden.
Dann ist viel Aufklärungsarbeit wichtig. Sich Argumente anderer anhören und versuchen darauf zu reagieren. Wir haben einfach sehr viel zu entgegnen. Wir haben Argumente ökologischer Natur, wir haben aber auch Argumente auf der wirtschaftlichen Ebene. Wenn man mal solche Bauprojekte näher betrachtet, fallen häufig auch viele der Pro-Argumente zusammen. Natürlich wird ein Investor mit so einem Projekt hier viel Kohle machen können, aber was dann die Gemeinde davon hat, ist gar nicht so viel und das haben hier mittlerweile schon viele verstanden.

 

Dieser Artikel steht unter folgender CC Lizenz: BY-ND-NC

 

Nachtrag vom 28.03.2021:

Bei den Gemeindewahlen im März entschieden sich die Wählenden in Neu-Eichenberg mehrheitlich für Parteien und ein neu gegründetes Wählerbündnis, welche sich entschieden gegen den Bau des Logistikgebietes aussprechen. Dank diesem Politikwechsel im Gemeindeparlament ist die Versiegelung der Ackerflächen nicht mehr zu befürchten. Die öffentlichkeitswirksame Arbeit der BI und zahlreicher anderer Akteur*innen hat sich gelohnt.

 

Mehr erfahren:

Weitere Informationen zur Bürgerinitiative, den bisherigen Prozess und aktuelle Entwicklungen findet Ihr unter www.neb-bleibt-ok.de.

Den Internetauftritt der Ackerbesetzung findet Ihr hier.