Wie kein anderer Wirtschaftsbereich in Europa ist die Land- und Ernährungswirtschaft auf der Ebene der Europäischen Union (EU) geregelt. Diese Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) umfasst eine eigene Marktordnung und eine umfangreiche Förderpolitik. Seit der EU-Vorläufer, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, 1957 gegründet wurde, gelten die dafür vertraglich festgelegten Ziele unverändert: Die Förderung von technischem Fortschritt und Rationalisierung soll die Produktivität der Landwirtschaft steigern und die Versorgung der Verbraucherinnen und Verbraucher zu angemessenen Preisen sicherstellen. Die in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen sollen von ihrem Einkommen leben können – und, um all das zu erreichen, die Märkte stabilisiert werden.
In den Nachkriegsjahren dominierte die Sorge darum, die Ernährung zu sichern. Heute, da die Binnenmärkte gesättigt sind, stehen wachsende Exporte der Agrar- und Ernährungswirtschaft im Fokus. Längst ist die EU einer der weltweit größten Exporteure für Fleisch – überwiegend Schweinefleisch – und Molkereiprodukte. Und sie bemüht sich, über bilaterale Freihandelsverträge weitere Absatzmärkte zu erobern.
Damit große Schwankungen auf den Weltmärkten die Produktion nicht gefährden, greift notfalls die EU-Marktordnung ein, insbesondere bei tierischen Erzeugnissen wie der Milch. Die EU kann Magermilchpulver und Butter von Molkereien aufkaufen und einlagern, wenn der Marktpreis stark abrutscht. So suggeriert sie Nachfrage, bremst weiteren Preisverfall und sichert die Hersteller ab. Meist zu spät setzt die EU finanzielle Anreize, um etwa die Milcherzeugung zu drosseln, damit Überschüsse und Preisverfall gar nicht erst entstehen. Die Marktordnung formuliert auch die Rechte von Bäuerinnen und Bauern, sich zusammenzuschließen, Qualitätsstandards einzuführen und mit den Verarbeitern und dem Handel über Preise und Mengen zu verhandeln. Genutzt wird das in Deutschland nur wenig.
Die Förderpolitik steht heute im Mittelpunkt der GAP. Sie verfügt über knapp 40 Prozent des EU-Haushaltes, jährlich fast 60 Milliarden Euro. Ihre Förderpolitik ist aufgeteilt in zwei Säulen. Die erste umfasst 75 Prozent des Agrarhaushaltes. Der Großteil davon geht als Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe, nach Deutschland fließen pro Jahr rund fünf Milliarden Euro. Da sie pauschal pro Hektar landwirtschaftlicher Fläche ausgezahlt werden – etwa 280 Euro je Hektar –, profitieren flächenstarke Betriebe davon am meisten. So gut wie keine Rolle spielt, wie ökologisch vorteilhaft die Fläche bewirtschaftet und wie tiergerecht das Vieh gehalten wird.
Die zweite Säule ist mit 1,2 Milliarden Euro für Deutschland deutlich kleiner und heißt „Förderung der ländlichen Entwicklung“.


Unterstützt wird damit beispielsweise besonders umwelt- und klimaschonendes Wirtschaften, der Ökolandbau und die Arbeit in Gegenden mit erschwerten Bedingungen, etwa in den Bergen. Auch für Investitionen in Ställe, Maschinen, Schlachthöfe oder Molkereien kann eine Förderung beantragt werden. Einzelheiten legen in Deutschland die Bundesländer fest. Sie könnten zum Beispiel Schweineställe nur noch dann fördern, wenn sie eingestreute Liegeflächen, mehr Platz und einen Außenklimabereich oder gar einen Auslauf nach draußen aufweisen. Kuhställe könnten nur noch als förderfähig gelten, wenn die Kühe im Sommerhalbjahr auf der Weide grasen dürfen. Doch davon sind die Länder noch weit entfernt.
Auch bei den Direktzahlungen der ersten Säule gibt die EU den Mitgliedstaaten viel Spielraum, eigene Schwerpunkte zu setzen. Auch Umschichtungen von der ersten zur zweiten Säule sind möglich, um die Förderung zu stärken. Das nutzt Deutschland bisher unzureichend. Anstatt wie augenblicklich nur 4,5 Prozent könnten 15 Prozent der Direktzahlungen in die zweite Säule umgeschichtet werden. Damit stünden den Bundesländern weitere 525 Millionen Euro jährlich zur Verfügung, um tier- und umweltgerechte Ställe und Haltungsverfahren zu fördern.
Zusätzliche 30 Prozent der Direktzahlungen – bis zu 1,5 Milliarden Euro – könnten nicht mehr auf alle Hektare, sondern nur noch auf maximal 46 Hektare je Betrieb verteilt werden. Profitieren würden die kleineren und mittleren Betriebe, auf die der Großteil der Aufgabe entfällt, eine andere Tierhaltung einzuführen. Bisher nutzt Deutschland nur sieben Prozent der Direktzahlungen hierfür.
Drittens kann der Bund bis zu acht Prozent der Direktzahlungen – 400 Millionen Euro – für gekoppelte Weidetierprämien einsetzen: Damit könnte die tier- und umweltgerechte Weidehaltung von Rindern, Schafen und Ziegen unterstützt und auch dem Trend entgegengewirkt werden, Milchkühe das ganze Jahr über in Ställen zu halten oder sich aus der Schafhaltung zurückzuziehen. Deutschland verzichtet als einziges EU-Land auf gekoppelte Zahlungen.
Auch wenn diese Umschichtungen nicht ausreichen, um die geschätzten drei bis fünf Milliarden Euro für den Umbau der Tierhaltung zu decken, so bietet Europa bereits viel mehr an, als Deutschland bislang umsetzt. Für die Jahre nach 2020 wird die nächste Reform der EU-Agrarpolitik vorbereitet. Es wird neu darüber verhandelt, wie die Marktordnung in Zukunft Marktkrisen möglichst vermeiden kann. Und es gibt einen großen öffentlichen Druck, die Direktzahlungen an gesellschaftliche Leistungen und nicht an Flächen zu binden. Dazu gehören eine besonders tier- und umweltgerechte Tierhaltung und eine umwelt- und klimaschonende
Nutzung von Acker- und Grünland. Je stärker Deutschland schon jetzt seine Möglichkeiten dazu nutzt, umso größer sind die Erfolgschancen dafür auf EU-Ebene.
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Dieser Artikel ist zuerst hier erschienen:
Heinrich-Böll-Stiftung, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland und Le Monde Diplomatique. 2018. Fleischatlas 2018. URL: boell.de/fleischatlas2018