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Eine Frage der (Ess)Kultur

Roggen oder Weizen? Hafer oder Mais? Mit dem Anbau geeigneter Kulturen und Sorten könnten landwirtschaftliche Betriebe ökologische Herausforderungen besser bewältigen. Welche Kulturpflanzen angebaut werden (können), bestimmt jedoch vorrangig unsere Esskultur.

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CC pixabay.com

Eher pflanzlich als tierisch, mehr saisonal und regional, lieber biologisch als konventionell - diese Empfehlungen für eine tendenziell1 nachhaltigere Ernährungsweise sind vielen Menschen mittlerweile so geläufig wie das kleine Einmaleins. Doch es gibt noch weitere Faktoren, die es für die Bildung zukunftsfähiger Ernährungsmuster zu berücksichtigen lohnt. Da wäre zum Beispiel der Einfluss unserer Esskultur auf die Auswahl an Kulturen, die in der Landwirtschaft angebaut werden. Denn sowohl die Kulturarten selbst, deren Vielfalt und Kombination als auch die Flächenanteile, die sie auf den Äckern einnehmen, bestimmen maßgeblich mit, welche ökologischen Auswirkungen deren Anbau hat.

 

Weizen, Mais, Gerste und Raps

“Im Moment wird auf dem größten Teil der Ackerflächen Weizen, Mais, Gerste und Raps angebaut.” erklärt die Agrar- und Umweltwissenschaftlerin Urte Grauwinkel. “Für eine zukunftsfähige Landwirtschaft braucht es dringend mehr Diversität.” Gemeinsam mit dem Ernährungsexperten Dr. Toni Meier leitet sie die operationelle Gruppe “Zukunftsspeisen”. Mit dem Projekt “Superfoods aus Sachsen-Anhalt” möchte die Gruppe den Anbau ökologisch und ernährungsphysiologisch wertvoller Pflanzen fördern und deren Absatz erleichtern. Sie hoffen, dass es für Landwirt*innen wieder attraktiv wird, sich breiter aufzustellen und eine größere Vielfalt an Kulturen anzubauen.


Doch was genau bedeutet zu wenig Diversität auf dem Acker und warum ist das problematisch?

Selbst für Menschen, die den ländlichen Raum nur durch den Blick aus dem Zugfenster erfahren, lässt sich schnell erkennen, welche Kulturarten die Äcker in Deutschland dominieren. Besonders vertraut scheinen die Bilder von scheinbar endlosen Weiten aus gelb blühendem Raps, goldfarbenem Weizen und Wäldern aus Maispflanzen. Im Jahr 2020 wurden knapp 63 % der Felder mit Weizen, Gerste, Raps und Silomais bestellt, 1991 waren es noch 51 %. Die Vielfalt im Anbau sowie die Nutzung sogenannter kleiner Kulturarten² ist dagegen zurückgegangen.
Diese Entwicklung hat Mitte des letzten Jahrhunderts an Fahrt aufgenommen. Dazu beigetragen hat unter anderem der enorme Züchtungsfortschritt einzelner ertragsstarker Arten. Die Entwicklung von Pflanzenschutzverfahren hat sich dementsprechend auf eine kleine Auswahl von Kulturen verengt. Auch die Herausbildung höherer Vermarktungschancen dieser etablierten Kulturen und weitere ökonomische Aspekte spielen bei diesem Prozess eine Rolle. Die Konzentration auf Kulturen und Sorten mit hohem Ertragspotenzial bleibt jedoch nicht ohne Preis. So erhöht sich mit einer Verengung der Fruchtfolge die Entstehung von Resistenzen von Schadorganismen gegenüber Pflanzenschutzmaßnahmen. (BMEL 2021)

Dr. Bernd Hackauf vom Julius Kühn-Institut beschreibt weitere Herausforderungen einer solchen Entwicklung: “Bevor Pflanzenzüchter angefangen haben leistungsstarke Sorten zu entwickeln, waren die regional genutzten Sorten an ihre jeweilige Umwelt angepasst. Heute müssen moderne Sorten flächendeckend Hochleistungen erbringen. Die Resilienz gegenüber standortspezifischen Umweltbedingungen ist eine kaum gewürdigte Leistung der Pflanzenzüchtung für unsere Landwirtschaft.” Hinzu kommt, dass sich Eigenschaften durch züchterische Verbesserungen stetig wandeln. “Bei der Züchtung spielen so viele Merkmale eine Rolle, dass neue Sorten auch unerwünschte Eigenschaften aufweisen können. So hat beispielsweise beim Weizen die Selektion auf einen geeigneten Blühzeitpunkt ungewollt zu einer Reduktion der Wurzelleistung geführt.” Die eingeschränkte Wurzelleistung des Weizens hat wiederum negative Auswirkungen auf die Trockentoleranz der Pflanzen und ist nun in den Fokus züchterischer Aktivitäten gerückt.

 

Vom Wert kleiner Kulturen


Bernd Hackauf forscht unter anderem zur Trockenstresstoleranz von Roggen. Der Wissenschaftler weist darauf hin, dass sich dieses Getreide generell durch eine hohe Toleranz gegenüber äußeren Stressoren auszeichnet und damit das Potenzial in sich birgt, auch unter veränderten Klimabedingungen stabile Leistung zu liefern. “Roggen hat auch eine sehr geringe Klimawirkung im Vergleich zu anderen Getreiden. Er ist anspruchsloser und bringt zuverlässig auf leichteren Böden sichere Erträge.”

 

Auch die operationelle Gruppe “Zukunftsspeisen” möchte das Bewusstsein für die ökologischen Vorteile kleiner Kulturen wie dem Roggen, stärken. “Es geht nicht nur um “neue” Pflanzen wie Amaranth oder Kichererbsen, sondern auch um “alte” Kulturen3 wie Hirse oder Buchweizen. Außerdem braucht es mehr Leguminosen4 und all diese Kulturen müssen dementsprechend wieder vermehrt Teil unserer Ernährung werden” meint Urte Grauwinkel. Diese Nischenkulturen bringen unterschiedliche ökologische Vor- und Nachteile mit sich. Tendenziell unterscheiden sie sich von gängigen Sorten der Leitkulturarten durch bodenverbessernde Eigenschaften und eine höhere Toleranz gegenüber schwachen Böden, extremen Wetterereignissen und einer geringen Nährstoffversorgung, aber auch geringere Ertragspotenziale (Destatis 2021a, BLE o.J., TFZ o.J.). Der Anbau “neuer” Kulturen wie Quinoa, Amaranth oder Kichererbsen stellt Landwirt*innen vor besondere Herausforderungen. Da sich diese Kulturen für den Anbau in Deutschland noch im Versuchsstadium befinden, ist das Risiko von Ernteausfällen hoch. Noch fehlt es an Sorten, die ausreichend standortangepasst sind sowie an geeigneten Absatzmöglichkeiten. Eine gewisse Nachfrage ist zwar bereits vorhanden, die vorrangig durch Importe bedient wird (BLE 2018, BLE 2019). “Für neue Kulturpflanzen braucht es vor Ort Verarbeiter wie Mühlen die diese abnehmen. Daher kann nicht jedem Landwirt geraten werden, jetzt Hirse oder Quinoa anzubauen”, erklärt Urte Grauwinkel.

Die beste Pflanze wächst nicht im luftleeren Raum

 

Potenziell ist eine erfolgreiche Verbreitung neuer Arten in Deutschland jedoch nicht unmöglich. Bernd Hackauf erinnert an zwei Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit. “Mais kann mittlerweile durch verbesserte Kältetoleranz bis an die Ostsee angebaut werden. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich bei Sojabohnen beobachten und ich bin überzeugt, dass deren Verbreitung ähnlich erfolgreich sein wird.” Er betont jedoch, dass es aus züchterischer Sicht durchaus sinnvoll und weniger aufwändig sein kann, vor allem die Potenziale bereits etablierter Arten zu nutzen. “Dank der Pflanzenzüchtung können Eigenschaften wie Dürretoleranz auch in modernen Sorten gefunden werden. Man könnte ja auch fragen, ‘Warum nehmen wir nicht einfach Weizen aus Mexiko oder anderen, schon lange von Dürre geprägten Umwelten?’ Solche Sorten würden aber in anderen Eigenschaften nicht den Ansprüchen unserer Landwirtschaft entsprechen. Neben der Dürretoleranz gibt es für die Züchter viele entscheidende Merkmale, die hier angepasste Arten und Sorten ausmachen.”

 

Auch Urte Grauwinkel betont, wie wichtig es ist, dass Landwirt*innen standortangepasste Sorten zur Verfügung stehen. Sie weist darauf hin, dass jeder Landwirtschaftsbetrieb seine eigenen, spezifischen Ansprüche an Sorteneigenschaften mitbringt. “Auch wenn Züchtungsunternehmen neue Sorten auf den Markt bringen, müssen Landwirt*innen zunächst testen, ob diese für ihre spezifischen Standortbedingungen geeignet sind. Einfach zu versuchen, trockenresistente Sorten zu züchten, reicht bei weitem nicht aus.” Laut der Wissenschaftlerin sind auch rechtliche Beschränkungen für die Saatgutvermehrung durch Landwirt*innen ein Hemmnis für die nötige Sortenvielfalt. “Es braucht ganz viele Landsorten und es muss Landwirt*innen erleichtert werden Sorten selbst nachzubauen. Denn dann können sie selbst solche Sorten entwickeln, die für ihren Standort geeignet sind.”

 

Resilienz dank Vielfalt

 

Dank der Vielzahl überwiegend mittelständischer Pflanzenzuchtunternehmen ist die Sortenvielfalt hierzulande vergleichsweise groß. Eine große Kultur- und Sortenvielfalt ermöglicht es Landwirt*innen also Pflanzen aus einem breiten Genpool mit unterschiedlichsten Eigenschaften und Ansprüchen auszuwählen, um standortangepasst wirtschaften zu können. Sie bringt noch einen weiteren grundsätzlichen Vorteil mit sich: Weite und vielfältige Fruchtfolgen können Landwirt*innen dabei helfen, mit veränderten Klimabedingungen besser umzugehen. Zur Anpassung des Pflanzenbaus an klimatische Veränderungen forscht Dr. Lorenz Kottmann vom Julius Kühn-Institut. “Angesichts zunehmender Wetterextreme sollte die Landwirtschaft möglichst breit aufgestellt sein. Wenn man so das Risiko weit streut, kann man mit den meisten Bedingungen besser umgehen“ erklärt der Wissenschaftler. “Der Anbau verschiedener Kulturen und Sorten kann wie eine Absicherung vor wetterbedingten Schäden wirken. Selbst wenn man bei einer Kultur einen Totalausfall erleidet, bleiben einem noch weitere Standbeine, die einem übers Jahr helfen können.”

 

Keine Veränderung auf den Äckern ohne Veränderung auf den Tellern

 

Nach dem jahrzehntelangen Trend hin zu einer Konzentration auf wenige ertragsstarke Kulturpflanzen könnte eine Diversifizierung nun eine Chance zur Bewältigung der Folgen des Klimawandels und anderer ökologischer Krisen darstellen. Um wieder eine ausgeglichene Vielfalt auf den Äckern zu erreichen, gilt es einige Hürden zu meistern.
Bernd Hackauf plädiert dafür, traditionellen Fruchtarten wieder größere Aufmerksamkeit zu schenken. “Ich sehe nicht, dass wir kulturell Riesenschritte machen müssen. Beim Hafer erleben wir momentan eine Renaissance und mit dem Roggen haben wir ein Ass im Ärmel, dessen Wert als Brotgetreide die Menschen zumindest in Deutschland seit Jahrhunderten schätzen.” Global sieht die Situation da etwas anders aus. “Weizen, Mais und Reis machen ca. 60 % der globalen Nahrungsmittelversorgung aus. Der Welt zu erklären, welche Potentiale andere Kulturarten besitzen, ist schon schwieriger.”
Doch nicht nur aus kultureller Sicht hält Bernd Hackauf Roggen für eine Fruchtart, die es weiter zu fördern lohnt: “In Deutschland kennt auch die Wissenschaft den Wert des Roggens und wir haben noch verschiedene Zuchtprogramme, die sich mit Roggen beschäftigen. Da sieht es bei anderen Kulturen schon schlechter aus, beispielsweise bei der Lupine. Zu dieser heimischen Eiweißpflanze gibt es kaum Aktivitäten zur züchterischen Verbesserung.” Letztlich komme es auch auf die Verbrauchenden an, den Wert von kleinen Kulturen zu erkennen und deren Nachfrage zu steigern. “Wir als Verbraucher haben durchaus Macht, Entwicklungen zu lenken. Die Züchtung selbst kann der Landwirtschaft und den Verbrauchern nicht vorschreiben, was zu tun ist.”


Auch Lorenz Kottmann betont die Bedeutung des Verbraucherverhaltens für den Handlungsspielraum der Landwirt*innen. “Das Problem ist natürlich der Markt und die Nachfrage, denn keine Landwirtin wird frei in der Entscheidung sein, was sie anbaut. Die Landwirte müssen ihre Produkte auch vermarkten und davon leben können. Wenn ein Landwirt Buchweizen anbaut und der nicht verkauft werden kann oder kein angemessener Preis gezahlt wird, macht das keinen Sinn. Auch wenn es seine Fruchtfolge noch so nachhaltig verändert. Das ist ein großer Einschnitt im Handlungsspielraum zur Ausrichtung an ökologischen Zielen und Klimaanpassung.” Zwar lässt sich erkennen, dass sich Ernährungsgewohnheiten auch bezüglich kleiner Kulturen wie dem Hafer gerade positiv verändern. “Aber man muss bei dieser Diskussion auch die Grenzen solcher Trends erkennen: von dem Getreide welches in Deutschland angebaut wird, gehen gerade mal 20% in die direkte menschliche Ernährung. Knapp 60% gehen in die Tierfütterung und der Rest wird energetisch oder industriell verwertet. Daher ist der Hebel durch eine veränderte Auswahl an Kulturpflanzen durch Ernährungsumstellungen gar nicht mal so groß. Zumindest solange der Fleischkonsum nicht drastisch sinkt.”

Daher ist es für Urte Grauwinkel so wichtig, Ernährung und Landwirtschaft mehr zusammenzudenken und Wege zu einer anderen Flächennutzung zu finden. “Die Flächen sind umkämpft durch den Bedarf an Rohstoffen, Energie und Futtermitteln. Wir müssen ein Gleichgewicht finden, bei dem Ernährung Vorrang hat und die Leitkulturen im Einklang mit ernährungsphysiologischen Vorgaben stehen. Daher müssen wir weg vom hohen Fleischkonsum und vom Fokus auf Getreidebau.”

Sie ist optimistisch, dass weitreichende Veränderungen in den Ernährungsgewohnheiten grundsätzlich möglich sind und zwar nicht nur was ein “Comeback” altbekannter Kulturen wie Roggen angeht. “Bezüglich unserer Ernährung habe ich innerhalb einer Generation schon eine massive Systemwende erlebt, als im Osten um die Wende der Fleischkonsum massiv gestiegen ist. Ich denke das kann auch andersherum wieder funktionieren. Dabei ist Regionalität ein entscheidender Faktor. Wenn Quinoa in Brandenburg angebaut werden kann, dann sollten wir das tun, anstatt weiter zu importieren. Wir können neue Kulturen in die Speisepläne aufnehmen, wir können aber auch Gewohnheiten anpassen. Es braucht zum Beispiel keine roten Linsen aus der Türkei, wenn es auch braune Linsen vom Kyffhäuser tun.” Aus dem Projekt “Superfoods aus Sachsen-Anhalt” ist diesbezüglich positives Feedback zu verzeichnen. “Wenn wir mit Köchen Rezepte mit Hirse oder ähnlichem erarbeiten, fahren wir auch auf die Höfe, um zu zeigen, wo unsere Zutaten herkommen. Bisher erfährt unser Projekt große Resonanz aus der Gastronomie.”

Vielfältige Ideen für vielfältige Lösungen

 

Wie sollte es weitergehen in der Forschung zu Kulturpflanzen und Sorten? Und was muss geschehen, damit diese einen relevanten Beitrag zu einer zukunftsfähigen Landwirtschaft leisten kann? Die drei Wissenschaftler*innen Urte Grauwinkel, Lorenz Kottmann und Bernd Hackauf sind sich einig, dass es ein breites Portfolio an Lösungsansätzen geben muss.
“Es gibt nicht die eine Lösung, die alles auf einmal löst,” konstatiert Lorenz Kottmann. “Die neuen molekularbiologischen Züchtungstechniken können beispielsweise ein wichtiger Beitrag zur Lösung ökologischer Probleme in der Landwirtschaft seien. Dieser Ansatz ist sicher wichtig, aber das ist nicht das Einzige, in das man Ressourcen investieren sollte. Es muss vielmehr ein Mix aus verschiedensten Anpassungsmaßnahmen aus den Bereichen Züchtung, Arten- und Sortenwahl, Bodenbearbeitung, Düngung, Pflanzenschutz, Wassermanagement und vielem Anderem sein.”
Einige dieser Maßnahmen wurden laut Urte Grauwinkel bisher jedoch vernachlässigt. “Kreislaufwirtschaft, Ökosystemforschung, Bodenbiologie und Ökolandbau sind an vielen Universitäten noch immer Randthemen. In den letzten Jahren wurde ein großer Fokus auf Ertragssteigerungen gelegt, dabei haben wir den Blick auf ökologische Zusammenhänge vergessen.” Sie wünscht sich eine Forschung die weitestgehend unabhängig von Drittmittelgeldern ist und Landwirt*innen stärker einbezieht. “Es braucht auch langfristige Forschungsprojekte, die eng mit der Praxis verbunden sind. Wir sollten Landwirt*innen mehr Gehör schenken und sie dort begleiten, wo sie sich wissenschaftliche Erkenntnisse wünschen. Es gilt, niedrigschwellige Angebote schaffen, um Verbindungen zwischen Landwirt*innen und Forschung zu schaffen. Beim Projekt ‘Zukunftsspeisen’ geht das schon ganz gut, da hier Landwirtinnen eng begleitet werden.”

Lorenz Kottmann verweist auf sogenannte “Living Labs”, einen Ansatz, bei dem neben Landwirt*innen und Forschung auch Verbraucher*innen und die Verwaltung mit einbezogen werden, um in realem Umfeld an Lösungen für aktuelle Probleme zu arbeiten. Damit soll eine breitere Akzeptanz für neue Lösungsansätze geschaffen und der Transfer von Wissenschaft in die Praxis erleichtert werden. “Ebenfalls erwähnenswert sind die Modell- und Demonstrationsvorhaben des BMEL, die eine Zwischenstufe zwischen experimenteller Forschung und Wissenstransfer bieten. Zur Zeit ist es nämlich ein echtes Manko, dass viele Forschungsergebnisse einfach noch nicht in der Praxis präsent sind. Es werden jedes Jahr viele Forschungsprojekte abgeschlossen, aber dieses Wissen kommt in der Praxis oft nicht an.”
Bernd Hackauf ergänzt, dass Wissen aus der Forschung nicht nur in die Praxis, sondern auch in die breite Öffentlichkeit getragen werden muss. “Es ist nicht trivial mit kleinen Fruchtarten öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen. In den Medien kommt darüber fast nichts, meist dreht sich alles um die Leitgetreidearten. Es reicht nicht, wenn die wissenschaftliche Gemeinschaft nur in ihren Kreisen die Vorzüge kleiner Kulturen diskutiert. Inzwischen wissen wir beispielsweise, dass der Roggen auch als Futtergetreide großen Wert besitzt, Stichwort ‘Tierwohl’. Mit diesem Wissen muss eine breite Öffentlichkeit erreicht werden. Darin sehe ich eine große Herausforderung.”

 

Vielleicht gelingt es mit geschickter Kommunikation, die “breite Öffentlichkeit” dafür zu gewinnen, kleine Kulturen und Vielfalt im regionalen Anbau gezielt zu fördern. Roggen statt Weizen oder Hirse statt Reis sind ein guter Anfang. Ein breites Wissen über die ökologischen Vorteile von Nischenkulturen kann sicher dazu beitragen, dass Ernährungsindustrie und Verbrauchende vermehrt zu Hafer, Hülsenfrüchten, Quinoa und co. aus regionalem Anbau greifen und damit eine Diversifizierung von Fruchtfolgen zu unterstützen.

 

Anmerkungen:

1) Diese Empfehlungen beschreiben die Tendenzen, die unser Ernährungssystem als ganzes nachhaltiger machen würden. Im Einzelfall kann jedoch auch die Wahl gegen diese Richtlinien die nachhaltigere Entscheidung bedeuten bzw. können die Auswirkungen der Lebensmittelproduktion auf die Umwelt so komplex sein, dass eine eindeutige Benennung der nachhaltigeren Wahl kaum möglich ist. So kann z.B. die Produktion eines Lebensmittels nach ökologischen Richtlinien in Sachen Biodiversität und Bodenfruchtbarkeit vorteilhaft sein, aber gleichzeitig mehr Treibhausgase verursachen, als ein konventionell angebautes Äquivalent.

2) Diejenigen Kulturpflanzen, die im Kontrast zu den Leitkulturarten nur in geringem Umfang angebaut werden.

3) Mit der Unterscheidung zwischen alten und neuen Kulturarten wird zwischen solchen Kulturen unterschieden, die in Deutschland schon eine Tradition haben (aber deren Anbau ggf. stark zurückgegangen ist) und solchen, die in Deutschland erst seit kurzer Zeit angebaut werden.

4) Pflanzen aus der Familie der Leguminosen oder Hülsenfrüchtler (Fabaceae) zeichnen sich durch bodenverbessernde Eigenschaften (z.B. durch die Bindung von Luftstickstoff mit Hilfe von Knöllchenbakterien) und einen hohen Eiweißgehalt aus. Insbesondere großkörnige Hülsenfrüchte wie Ackerbohnen, Erbsen, Soja, Lupinen sind für die menschliche Ernährung geeignet, während feinsamige Leguminosen wie Klee oder Luzerne vorwiegend für die Futtererzeugung genutzt werden.
 

Weiterführende Links:

Kulturartenvielfalt: Pflanzenzüchterische Ansätze für die Landwirtschaft - Überblicksartikel der Gemeinschaft zur Förderung von Pflanzeninnovation e. V. (GFPi) zu Herausforderungen und Potenzialen bei der Etablierung kleiner Kulturarten

Zukunftsspeisen

RYE-SUS - transnationales Forschungsprojekt, mit dem Ziel verbesserte Roggenvarianten für die kanadische und europäische Landwirtschaft zu entwickeln

 

LITERATUR:

BLE o. J.: Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung: Spezieller Pflanzenbau. Online im Internet: https://www.oekolandbau.de/landwirtschaft/pflanze/spezieller-pflanzenbau/ [Stand: 01.10.21]

BLE 2018: Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung: Pseudogetreide. Online im Internet: https://www.oekolandbau.de/landwirtschaft/pflanze/spezieller-pflanzenbau/getreide/pseudogetreide/ [Stand: 01.10.21]

BLE 2019: Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung: Bioquinoa aus Deutschland. Online im Internet: https://www.oekolandbau.de/landwirtschaft/pflanze/spezieller-pflanzenbau/getreide/pseudogetreide/bioquinoa-aus-deutschland/ [Stand: 01.10.21]

BMEL 2021: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Ackerbaustrategie 2035. Online im Internet: https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/ackerbaustrategie2035.pdf;jsessionid=82BC950C6CF3956CC9D787F0077C35D8.live852?__blob=publicationFile&v=6 [Stand: 01.10.21]

Destatis 2021a: Statistisches Bundesamt. Anbauflächen, Hektarerträge und Erntemengen ausgewählter Anbaukulturen im Zeitvergleich. Online im Internet: https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Feldfruechte-Gruenland/Tabellen/liste-feldfruechte-zeitreihe.html [Stand: 01.10.21]

Destatis 2021b: Statistisches Bundesamt. Ackerland nach Hauptfruchtgruppen und Fruchtarten. Online im Internet: https://www.destatis.de [Stand: 08.10.21]

IVA 2018: Industrieverband Agrar. Quinoa aus Deutschland. Online im Internet: https://www.iva.de/iva-magazin/schule-wissen/quinoa-aus-deutschland [Stand: 08.10.21]

TFZ o.J.: Technologie- und Förderzentrum im Kompetenzzentrum für Nachwachsende Rohstoffe. Einjährige Kulturen. Online im Internet:

https://www.tfz.bayern.de/rohstoffpflanzen/einjaehrigekulturen/index.php [Stand: 01.10.21]

 

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