Ein landwirtschaftlicher Betrieb im Nordosten des Schwäbischen Waldes nimmt eine Biogasanlage in Betrieb. Die einstmals vielfältige Fruchtfolge wird auf den Anbau der beiden energetisch verwertbaren Kulturen Mais und Weizen reduziert, die Erntekette erfordert nun den Einsatz einer größeren Anzahl schwererer Maschinen auf den Flächen. Eine Flurneuordnung¹ beschert dem Betrieb Böden, die in der Vergangenheit nicht gerade schonend behandelt wurden. Um die Erträge trotzdem stabil zu halten, werden synthetische Pflanzenschutzmittel genutzt. Was haben Sie für ein Bild vor Augen? Das klingt nicht gerade nach einem Vorzeigebetrieb in Sachen ökologischer Nachhaltigkeit?
Häufig ist unser Bild der Landwirtschaft von dichotomen Bildern geprägt: Kleine, ökologische und vielfältige Höfe wirtschaften im Einklang mit der Natur während konventionelle, große Betriebe der Umwelt schaden. Heuristiken wie diese sind nicht ganz unbegründet und dennoch führen sie uns manchmal an der Nase herum. Zwar helfen sie uns, Landwirtschaft zu verstehen, erzählen aber nur die halbe Wahrheit und bieten keine Antwort auf Widersprüchlichkeiten.
So ist der Betriebsleiter des oben beschriebenen Hofes mittlerweile bei vielen Berufskolleg*innen für seine Erfahrungen in Sachen regenerative Landwirtschaft ein gefragter Mann. Er gibt Seminare zur Bodenfruchtbarkeit und eine ökologisch nachhaltige Umgestaltung der Landwirtschaft ist eines seiner Hauptanliegen. Wie passt das alles zusammen und wie ist der Betrieb nun einzuordnen? Wir werfen einen Blick auf die Geschichte des Hofes der Familie Reber. Eine Geschichte, die geprägt ist von Umbrüchen und einem bemerkenswerten Kurswechsel, sowohl praktisch als auch geistig.

“Bis 2006 war ich der klassische Vollgas-Bauer. Immer noch ein bisschen mehr produzieren, immer noch ein paar Hektar mehr bewirtschaften.” - so beschreibt Landwirt Michael Reber seine frühere Herangehensweise an die Landwirtschaft. Als er Ende der 90er Jahre in die Bewirtschaftung des elterlichen Hofes mit erfolgreicher Herdbuch-Sauenzucht eingestiegen ist, wurden erst einmal neue Ställe gebaut. Michael Reber orientierte sich an den damaligen Empfehlungen des Landwirtschaftsamtes und den betriebswirtschaftlich ausgerichteten Lehren seines Studiums: Tierbestände vergrößern. Obwohl sich diese Expansion nicht nur positiv auf die wirtschaftliche Situation des Betriebes auswirkte, änderte sich an den Ratschlägen wenig. “Irgendwann habe sogar ich gesagt: Ich habe die Zahl der Schweine schon verdoppelt und den Gewinn halbiert. Es ergibt keinen Sinn das nochmal zu machen.” Solange es möglich war den Betrieb so am Laufen zu halten, sah Michael Reber jedoch keinen Grund etwas Grundsätzliches zu verändern. „Das ist auch bei den meisten Berufskollegen so. Es jammern zwar alle über die Politik, aber solange es läuft, machen alle weiter wie bisher.”
Die im Frühjahr geborenen Ferkel hätten gemäß des Schweinezyklus im Sommer zu vergleichsweise guten Preisen verkauft werden sollen.
Bis zum Jahr 2006, als der Betriebsalltag durch ein unvorhersehbares Ereignis empfindlich gestört wurde.
In Deutschland kursiert in schätzungsweise 70 - 90 % aller Schweineställe ein Virus, das für das sogenannte Porzine (das Schwein betreffend) Reproduktive (die Fortpflanzung betreffend) und Respiratorische (die Atmung betreffend) Syndrom (kurz: PRRS) verantwortlich ist. In den meisten Betrieben kann diese höchst verlustreiche Erkrankung mit Impfprogrammen erfolgreich eingedämmt werden (vgl. Boehringer Ingelheim, 2011). Auf dem Betrieb von Michael Reber kam es trotzdem zu einem Ausbruch der Krankheit. Und das mit verheerenden Folgen. Allein die Hälfte aller Ferkel wurde tot geboren, von der anderen Hälfte überlebte wiederum nur jedes Zweite. “Das willst Du nicht miterleben, dazu hängst Du einfach zu sehr an Deinen Tieren. Wenn Du tagelang tote Ferkel aus dem Stall tragen musst, dann tut das richtig weh”, reflektiert der Landwirt die damalige Situation.
Auch der wirtschaftliche Schaden war massiv. Die im Frühjahr geborenen Ferkel hätten gemäß des Schweinezyklus im Sommer zu vergleichsweise guten Preisen verkauft werden sollen. Da es sich um Zuchtsauen handelt, die beim Verkauf frei von jeder Krankheit sein müssen, ist praktisch die gesamte Kundschaft weggebrochen. Von der Versicherung wurden gerade einmal um die 10 % des Gesamtschadens gedeckt.
In meinem Kopf wirklich verändert hat sich erst etwas mit diesem Bodenkurs.
Erste große Schritte zur Umstrukturierung des Betriebes wurden seit dem Jahr 2009 unternommen. Zunächst mit dem Ausstieg aus der Jungsauenhaltung, dann mit dem Bau einer Biogasanlage, um ein alternatives finanzielles Standbein zu schaffen. Ein wirkliches Umdenken hat bei Michael Reber allerdings erst später stattgefunden. “Die Erkenntnis, dass wir hier etwas grundlegend anders machen müssen und einen neuen Weg finden müssen, das ist noch gar nicht so lange her. In meinem Kopf wirklich verändert hat sich erst etwas mit diesem Bodenkurs.”
Auf dem Betrieb wurde schon seit über 35 Jahren auf eine pfluglose und bodenschonende Bewirtschaftung geachtet. Trotzdem waren die Böden nicht in ausreichendem Maße an die zunehmend extremer werdenden Witterungsbedingungen angepasst. Das Wasser starker Niederschläge wurde nicht hinreichend für die länger werdenden Trockenphasen im Boden gespeichert und die Erträge stagnierten. Hinzu kam die vermehrte Entwicklung von Resistenzen gegen Herbizide und Insektizide sowie die neue Düngeverordnung, die einen veränderten Umgang mit der bisherigen Düngepraxis erforderlich machte. “Die Zeiten, dass man einfach exorbitant viel Mineraldünger hinzugedüngt hat, sind einfach vorbei. Zumindest wenn man es ehrlich macht”.
Deshalb habe ich einfach mal den Blick über diese imaginäre Grenze geworfen und geschaut, was es so für Biobetriebe gibt, die erfolgreich pfluglos wirtschaften.
An diesem Punkt realisierte Michael Reber, dass er bei der Bewirtschaftung mit seinem Wissen zu konservierender Bodenbearbeitung so langsam an seine Grenzen stieß. Für die Stabilisierung der Ertragsmenge standen nun zwei Optionen zur Auswahl: Zusätzliche Flächen bewirtschaften oder eine intensivere Beschäftigung mit dem Boden um die Art der Bewirtschaftung zu verändern. Es ist wohl nicht zuletzt seiner Frau zu verdanken, dass er sich einen Ruck gegeben hat, um weiter über den Rand seines Wissenshorizonts hinauszuschauen. “Meine Frau hat mich schon immer ein bisschen in die Richtung gedrängt, zu schauen, ob es denn unbedingt ein Schweinestall mehr sein muss. Oder ob es sich nicht lohnt für Alternativen offen zu sein, ob es nicht doch noch andere Wege gibt.”
Eine Grenze zwischen Bio und Konventionell gibt es laut dem Landwirt sowieso nur in den Köpfen vieler Landwirt*innen und Konsument*innen. “Dabei könnten biologisch und konventionell wirtschaftende Betriebe eigentlich nur voneinander lernen. Deshalb habe ich einfach mal den Blick über diese imaginäre Grenze geworfen und geschaut, was es so für Biobetriebe gibt, die erfolgreich pfluglos wirtschaften.”
Nach ein wenig Recherchearbeit im Internet ist er auf die Arbeit von Friedrich Wenz und Dietmar Näser gestoßen und hat 2014 an deren Bodenkurs teilgenommen. Der Kurs, an dem konventionell und biologisch wirtschaftenden Landwirt*innen mit einem gemeinsamen Ziel der Schaffung besserer Böden zusammenarbeiteten, war ein Stück weit ein Augenöffner. Einerseits begeistert über das neu erworbene Wissen, andererseits frustriert über die Erkenntnis, dass auch er lange Zeit die Empfehlungen der Dünge- und Pflanzenschutzindustrie einfach stur angewendet hat ohne diese zu hinterfragen, fuhr Michael Reber nach Hause, um die Art der Flächenbewirtschaftung angesichts neuer Einsichten zu verändern.

Seitdem legt er viel größeren Wert auf die Berücksichtigung von Wirkzusammenhängen zwischen Boden und Pflanze und hat, ohne diese pauschal abzulehnen, eine differenziertere Meinung zum Einsatz von Mineraldüngern und synthetischen Pflanzenschutzmitteln entwickelt. Diese können massive Auswirkungen auf den Boden als funktionierendes Ökosystem haben. Fungizide töten nicht nur unerwünschte Krankheitserreger sondern auch Pilze im Boden, die wichtige Funktionen für das Pflanzenwachstum übernehmen können (Stichwort Mykorrhiza). Insektizide wirken sich ebenso schädlich auf Nützlinge aus, wie auf unerwünschte Insekten. Darum werden diese Mittel auf dem Betrieb schon seit 10 Jahren nicht mehr verwendet. Der Einsatz von Herbiziden und Mineraldünger konnte seitdem immerhin um 20 % reduziert werden. Gänzlich auf Herbizide zu verzichten würde allerdings eine intensivere Bodenbearbeitung nötig machen, was den Prinzipien der regenerativen Landwirtschaft eher zuwiderläuft. Gleichzeitig wird versucht den Boden ständig bedeckt zu halten und nicht brach und anfällig für Erosion liegen zu lassen. Der Anbau und die Einarbeitung von Zwischenfrüchten soll den Humusaufbau fördern. “Für uns ist es außerdem wichtig, den Zukauf externer Betriebsmittel so gering wie möglich zu halten. Durch die Biogasanlage haben wir Dünger, den wir so effizient wie möglich einsetzen müssen.”
Zukünftig brauchen wir jedoch andere Finanzierungsmodelle in der Landwirtschaft, wenn die Bauern etwas grundlegend anders machen möchten.
Gleichzeitig geht mit einer suffizienteren Wirtschaftsweise für den Betrieb ein Balanceakt einher, denn es müssen noch immer Kapitaldienste aus früheren Investitionen erbracht werden. Im Vergleich zur klassisch konventionellen Wirtschaftsweise hat sich mit der angepassten Bewirtschaftung für die Rebers bisher kein wirtschaftlicher Vorteil ergeben. Das könnte sich bei einer guten Ernte in diesem Jahr jedoch ändern. Bisher haben sich Einsparungen bei Dünge- und Pflanzenschutzmitteln im Wesentlichen auf andere Posten, wie Saatgutmischungen für Zwischenfrüchte verschoben. “Wir arbeiten suffizient in dem Sinne, dass wir keine Reichtümer erwirtschaften wollen. Zukünftig brauchen wir jedoch andere Finanzierungsmodelle in der Landwirtschaft, wenn die Bauern etwas grundlegend anders machen möchten. Das ist natürlich leicht gesagt.”
Dass solche alternativen Modelle funktionieren können, hat Michael Reber für sich bereits bewiesen. Für ein Agroforstprojekt konnte er im vergangenen Jahr innerhalb weniger Tage 7000 € mit einer Crowdfunding-Kampagne generieren. Mit dem Geld wurden 10.000 Quadratmeter Grünlandfläche mit Obst- und Nussbäumen ökologisch aufgewertet. Warum das so gut funktioniert hat? “Wenn man etwas macht, worin die Leute einen Sinn und einen Wert sehen, dann kann man auch so Geld generieren. Es ging ja auch nicht vorrangig um das Geld, sondern darum ein gemeinschaftliches Projekt zwischen Landwirtschaft und Bevölkerung zu stemmen.”

Für die Rebers war das Agroforst-Projekt nicht zuletzt eine Chance, wieder mehr mit der lokalen Bevölkerung in Kontakt zu kommen, denn bis auf den gelegentlichen Apfelsaft werden von der Familie keine Produkte direktvermarktet. Nun stehen regelmäßig ihnen unbekannte Menschen auf ihrer Wiese, die sich am Crowdfunding-Projekt beteiligt haben und schauen wollen, wie es den von ihnen finanzierten Bäumen geht. Ab und zu rufen Menschen aus dem Dorf an, nur um zu sagen, wie sehr sie sich darüber freuen, dass Landwirt*innen auch solche Projekte stemmen und nicht nur jammern würden.
Das sind keine Spinner. Das sind einfach Leute, die sich mit ihrer Ernährung befassen und diese verändern wollen.
Vielleicht ist es das breite positive Feedback und die Wertschätzung aus der direkten Umgebung, die Michael Reber optimistisch stimmen, dass es einen nicht gesättigten Markt gibt, der für viele landwirtschaftliche Betriebe eine Perspektive bieten kann. Einen Markt mit direkten Beziehungen zwischen Landwirt*innen und Verbraucher*innen, auf dem Menschen bereit sind faire Preise für Lebensmittel zu zahlen und diese anders wertschätzen als es die meisten Menschen gewohnt sind. Insbesondere in kürzeren Wertschöpfungsketten sieht er eine große Chance, um die Lage kleiner und mittlerer Landwirtschaftsbetriebe zu verbessern.
Doch wie können wir zurück zu kleinstrukturierten Absatzwegen? Schließlich wurde in Deutschland über Jahrzehnte ein System geschaffen, in dem Landwirt*innen nur noch Rohstofflieferanten am Ende einer langen Vermarktungskette sind. Im Notfall müsse dies auch ohne Politik und am besten ohne den Handel gelingen, also idealerweise per Direktvermarktung und aus eigener Verarbeitung, um die Wertschöpfung im Betrieb zu halten. Die Verarbeitung am Hof ist jedoch häufig mit einem solchen bürokratischen und organisatorischen Aufwand verbunden, dass diese von den meisten Landwirtschaftsbetrieben einfach nicht zu stemmen wäre. Landwirt*innen müssten sich daher bemühen, mit ähnlich orientierten Verarbeitungsbetrieben in der Region in Kontakt zu treten und kleinstrukturierte Kooperationen aufzubauen. “Wenn schon nicht Direktvermarktung, dann sollten zumindest die Schritte zwischen Hof und Verbrauchern so klein wie möglich gehalten werden. Das Problem ist, dass sich ja selbst kleine Fleischereien kaum noch von Aldi, Lidl und Co. abheben, die kaufen die gleichen Schweine.”
Eine Möglichkeit sich noch weiter von marktwirtschaftlichen Strukturen zu lösen, bietet das Konzept der Solidarischen Landwirtschaft (kurz: SoLaWi). Hierbei wird die Finanzierung eines landwirtschaftlichen Betriebes durch eine feste Gruppe von Menschen gesichert, die im Gegenzug von den Produkten und den gemeinschaftlichen Aktivitäten der SoLaWi profitieren. Dadurch wird die Grenze zwischen Verbraucher*innen und Landwirt*innen ein Stück weit aufgelöst, da sich die Mitglieder vielmehr als Teil der SoLaWi, denn als bloße Konsumierende ihrer Erzeugnisse verstehen. Weltweit gründen sich jedes Jahr neue solcher Betriebe, doch das Konzept klingt offenbar nicht für alle Landwirt*innen überzeugend. “Als sich im Nachbardorf eine SoLaWi gegründet hat, haben die ansässigen Landwirte nur darüber gelacht. Heute versorgt der Solawi-Betrieb 100 Ernteteiler mit Gemüse von 4 ha Land. Das sind keine Spinner. Das sind einfach Leute, die sich mit ihrer Ernährung befassen und diese verändern wollen. Aber die meisten meiner Berufskollegen verstehen einfach nicht, dass sich an der Art unserer Landwirtschaft etwas verändert und auch verändern muss.”
Wichtig ist einfach, dass man im Kopf offen bleibt und nicht immer alles so weiterprügelt wie es in der landwirtschaftsinternen Blase immer gesagt wird. 'Der blöde Verbraucher ist nicht bereit mehr zu bezahlen' und die ganzen blöden Sprüche. Das ist so einfach nicht alles richtig.
Was braucht es also, damit Landwirt*innen in wirtschaftlich schwierigen Lagen den Mut aufbringen neue Wege zu beschreiten, anstatt einem “Weiter-so” verhaftet zu bleiben? Michael Reber hat selbst erfahren, dass es in einer solchen Situation schwierig und anstrengend ist, kühlen Kopf zu bewahren. “Viele Kollegen stecken dann gern den Kopf in den Sand wenn es Probleme mit der Bank gibt. Wir mussten auch lernen, ruhig mit der Situation umzugehen und kümmerten uns um eine ständig überwachte Liquiditätsplanung, denn es ist elementar wichtig, einen Überblick über die Finanzen zu behalten.“
Mindestens ebenso relevant war für ihn ein gutes Kommunikationsklima innerhalb der Familie. „Ich habe Glück, dass ich mich mit meiner Frau so gut verstehen konnte, denn es ist elementar wichtig, über alles zu reden und alles offen ansprechen zu können. Es kann nicht sein, dass sich die Frau wegen den Finanzen den Kopf zerbricht und der Mann bestellt sich einen neuen Schlepper, weil der Nachbar auch einen hat.“
Nicht zuletzt war es seine Frau, die ihn ermutigt hat, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, um neue Perspektiven zu entdecken. Die landwirtschaftliche Ausbildung hat ihm in dieser Hinsicht jedenfalls nicht weitergeholfen. „Ich habe vor dem Studium gewusst was ich danach machen werde. Der Plan war ganz klar im Kopf, den habe ich im Studium nie in Frage gestellt und das muss ich bis heute bitter bezahlen.“
Es bringt ja nichts, wenn alles so gelehrt wird, wie die letzten 40 Jahre. Wir züchten uns sonst betriebswirtschaftliche Vollidioten.
Wenn junge Landwirt*innen mit einem ganzheitlichen Verständnis von Landwirtschaft in die Praxis starten sollen, müsse an den Ausbildungsinhalten ordentlich gefeilt werden. Dabei dürften soziale und ökologische Aspekte nicht zugunsten der Ökonomie vernachlässigt werden. Außerdem bräuchte es Lehrkräfte, die verschiedene Perspektiven eröffnen und dazu motivieren, die ausgetretenen Pfade auch zu verlassen und auf dem Weg immer wieder auch nach links und rechts zu schauen. „Wir züchten uns sonst betriebswirtschaftliche Vollidioten. Es bringt ja nichts, wenn alles so gelehrt wird, wie die letzten 40 Jahre. Dann kommen die Leute nach Hause und wollen einen Stall bauen, weil sie es genauso gelernt und alles fein betriebswirtschaftlich durchkalkuliert haben. Wenn dann eine Bürgerinitiative auf die Barrikaden steigt, wundern sie sich, dass da jetzt jemand dagegen sein kann.“ Die junge Generation müsse daher die Chance bekommen, Erfahrungen zu sammeln und Klarheit über die eigenen Wünsche und Ziele zu erlangen, bevor sie in die Praxis einsteigt. Was erwarte ich von meinem Betrieb? Was gibt es eigentlich alles für Möglichkeiten, diesen zu gestalten? Was kann und sollte mein Betrieb auch an ökologischen und sozialen Leistungen zur Gesellschaft beitragen? Und was ist langfristig nachhaltig?
Wenn man der nächsten Generation Landwirte ein bisschen Hoffnung gibt. Das ist für meine Frau und mich unbezahlbar.
Mittlerweile bietet Michael Reber auch selbst Seminare zur regenerativen Landwirtschaft an, in denen er auch empfiehlt, sich in diesen Fragen Klarheit zu verschaffen. Dabei erlebt er immer wieder, dass viele der vorrangig jungen Teilnehmenden für ihre Betriebe keine Perspektive sehen. Oft heißt es, dass verschärfte Umweltauflagen, wie die Düngeverordnung oder das Insektenschutzgesetz ein Weitermachen erschweren würden. Daher sieht die Familie Reber in den Seminaren auch die Chance, Wege im Umgang mit veränderten Rahmenbedingungen aufzuzeigen und den Berufskolleg*innen Mut zu machen. “Das ist etwas, was man nicht mit Geld aufwiegen kann: Wenn man der nächsten Generation Landwirte ein bisschen Hoffnung gibt. Das ist für meine Frau und mich unbezahlbar.” Auch wenn Michael Reber mit der Gestaltung vieler gesetzlicher Auflagen für die Landwirtschaft nicht ganz einverstanden ist, hält er eine ökologisch verträglichere Wirtschaftsweise dennoch für notwendig und vor allem für realisierbar.

Oft reicht ein wirtschaftlicher Schock allein nicht aus, um Landwirt*innen zum Umsteuern zu bewegen. Insbesondere Betriebe, die im großen Stil gebaut haben, stehen Veränderungen eher mit Vorbehalten und Ängsten gegenüber. Trotzdem können grundlegende Veränderungen und eine Neuorientierung an ökologischer Nachhaltigkeit Höfen eine Perspektive bieten. Dazu braucht es meist einen Impuls von außen, ein Mindestmaß an Offenheit gegenüber neuen Ideen und idealerweise den Rückhalt aus der Familie bzw. dem unmittelbaren Umfeld. Für Michael Reber steht fest, dass es insbesondere für kleinere Betriebe eine große Chance darstellen kann, sich auf solche Konsument*innen zu fokussieren, die bereit sind einen angemessenen Preis für Lebensmittel zu zahlen. Gleichzeitig erhofft er sich von Seiten der Konsument*innen, dass diese lernen, die Graustufen zwischen konventionell und bio zu erkennen. Schließlich werden die Versuche einer nachhaltigen Bewirtschaftung stets von Kompromissen sowie wirtschaftlichen Zwängen und Rahmenbedingungen begleitet. Und bei genauerem Hinsehen zeigen sich bei fast allen Höfen - egal ob biologisch oder konventionell - Widersprüchlichkeiten wie beim Hof der Familie Reber. Der Bau einer Biogasanlage zwingt den Betrieb zu einer einseitigen Fruchtfolge? Ja, aber gleichzeitig bietet die energetische Nutzung von Mais und Weizen vielfältige Einsatzmöglichkeiten für Untersaaten mit klarem ökologischen Mehrwert. Nur der absolute Verzicht auf Pflanzenschutzmittel ist langfristig nachhaltig? Vielleicht, aber Pflanzenschutzmittel machen es mindestens leichter und je nach Standort vielleicht erst möglich, wirklich Bodenschonend zu arbeiten.
Obwohl sie sich auch nach der Neuausrichtung ihres Betriebes noch nicht gänzlich von finanziellen Sorgen befreien konnte, hält die Familie Reber an ihrem Kurs fest. Diesen Herbst soll beispielsweise die Agroforstfläche um 7 ha erweitert und mit Kornelkirsche, Felsenbirne, Esskastanien und Wertholz für die Holzproduktion bepflanzt werden. Vielleicht wird die Familie künftig auch mehr Direktvermarktung wagen. An den Bodenfruchtbarkeitsseminaren haben mittlerweile über 500 Landwirt*innen aus ganz Deutschland teilgenommen. Bestimmt haben sich einige von ihnen von der Geschichte des Hofes bei Schwäbisch-Hall inspirieren lassen weiterzumachen. Und einige wagen wahrscheinlich sogar eine Neuausrichtung ihres Betriebes. Nach anderen Werten und mit anderen Prioritäten als bisher.
¹ Neueinteilung oder Zusammenlegung von land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen
Literatur
Boehringer Ingelheim (2011): Typisch Schwein. Daten, Zahlen, Fakten. Boehringer Ingelheim Vetmedica GmbH, 4.Auflage.
Dieser Artikel steht unter folgender CC Lizenz: BY-ND-NC
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Website von Michael Reber: https://innovativelandwirtschaft.de/
Regenerative Landwirtschaft und Dietmar Näsers Bodenkurs: www.regenerative-landwirtschaft.de/startseite.html