Logo

Perspektive tierleidfreie Landwirtschaft. Beratung als Motivator

Auf bio-vegane Landwirtschaft umstellen oder als Lebenshof weiter wirtschaften? Landwirt*innen, die über einen solchen Schritt nachdenken, müssen sich häufig finanzieller Ungewissheit und Vorbehalten aus ihrem näheren Umfeld stellen. Das Projekt “Begleitung zur veganen Landwirtschaft” hilft dabei, solche Hürden zu überwinden. Mit Beratung und viel Motivation.

Interview
Praktiker*in
Agrarwissenschaften
Pflanzenbau / Saatgut
Tierhaltung / Tierwohl
betriebswirtschaftliche Aspekte
soziale / ethische Aspekte
Unternehmerische Ansätze
Produktion

© Timo Geuß

Wer mit dem Gedanken spielt etwas an seinem landwirtschaftlichen Betrieb zu verändern, kann sich für eine Beratung z. B. an die Landwirtschaftskammern oder Bauernverbände wenden. Für unkonventionelle Ideen, wie die Umstellung auf bio-vegane Landwirtschaft oder den Betrieb eines Lebenshofes, fehlt es dort jedoch häufig (noch) an Know-how. Damit interessierte Landwirt*innen das Rad nicht neu erfinden müssen, bemühen sich einige Menschen darum, diese Lücke im Beratungsangebot zu schließen. Einer von ihnen ist Timo Geuß, Gründungsmitglied der Initiative “Begleitung zur veganen Landwirtschaft” (BeVeLa). Im Interview berichtet der gelernte Forstwirt über seinen Antrieb sowie die Motivation der Landwirt*innen, die sein Beratungsangebot wahrnehmen. Außerdem geht es um die Außenwahrnehmung seiner Arbeit und die Perspektiven der gewaltfreien Landwirtschaft¹. 

 

Was hat Dich dazu bewegt, Dich für eine tierfreie Landwirtschaft einzusetzen?

Da muss ich ein bisschen weiter ausholen. Als ich vor sieben Jahren meine Fachhochschulreife gemacht habe und eines Tages der Religionsunterricht ausgefallen ist, kam zur Vertretung ein Ethiklehrer. Dieser Ethiklehrer hat ein Video über einen Schlachtbetrieb gezeigt und da wusste ich: Ok, ich möchte mit so etwas eigentlich nichts zu tun haben. Von da an war klar, dass ich mich vegetarisch bzw. später dann vegan ernähren werde.
Dann habe ich begonnen, Naturraum- und Regionalmanagement zu studieren. Das kam daher, dass ich gelernter Forstwirt bin, die Natur über alles liebe und auch sehr gern in der Natur bin. Während des Studiums habe ich aber gemerkt, dass mir die Landwirtschaft wichtiger ist. Ich habe mich gefragt, was eigentlich die wichtigsten Dinge im Leben sind und eines der wichtigsten Dinge, die wir begreifen müssen, ist, dass jeder von uns Nahrungsmittel benötigt. Darum habe ich Ökolandbau und Vermarktung studiert. Ich dachte, die Biolandwirtschaft ist eine Variante, die für mich in Frage kommt. Dann habe ich ein Praktikum auf dem Hof Narr gemacht, das ist einer der bekanntesten Lebenshöfe in der Schweiz. So bin ich dann langsam in die gewaltfreie Landwirtschaft gegangen, weil das für mich eine ethisch sehr korrekte Form der Landwirtschaft ist ebenso wie eine nachhaltige und zukunftssichere Form. 

 

Einer Deiner Schwerpunkte liegt in der Beratung von umstellungswilligen Landwirt*innen. Wie bist Du zu dieser Tätigkeit gekommen?

Das resultiert daraus, dass ich vor zwei Jahren zur Initiative Lebenstiere e.V. gekommen bin. Das ist ein Verein, der sogenannten Nutztieren noch ein Leben schenkt. Wir kooperieren mit Landwirt*innen hier in der Region, bei denen die geretteten Tiere stehen und kümmern uns um die Schaffung des finanziellen Rahmens.

Wenn man mit diesen Landwirt*innen zusammenarbeitet, merkt man einfach, dass denen dieses Modell guttut, dass sie sich dafür begeistern und mit einer ganz anderen Lebenseinstellung an die Sache herangehen. Man sammelt dabei natürlich ein Stück weit Erfahrungen, darum habe ich beschlossen mit Tierrechtler*innen aus dem Südschwarzwald BeVeLa zu gründen. Wir beraten Landwirt*innen, die nach Alternativen zur Tierhaltung suchen. Angelehnt war das ganze ein wenig an die Arbeit von Sarah Heiligtag, die einen Lebenshof in der Schweiz betreibt und etliche Landwirt*innen berät. wi

Ich sehe diese Arbeit als wichtigen Teil eines Ernährungswandels, der aufgrund vieler Faktoren unumgänglich ist, sei es wegen Klimawandel, Artensterben und so weiter. 

 

Beobachtest Du bei den Landwirt*innen in Deutschland einen großen Bedarf an Eurer Beratung?

Viele Landwirt*innen sind da noch sehr zurückhaltend. Eine Umstellung ist ja auch keine einfache Entscheidung, wie z. B. bei der Frage, was ich heute anziehe. Es ist eine Lebensentscheidung und ein Landwirt oder eine Landwirtin, die aus der Tierhaltung aussteigen will, muss ja auch die Tradition eines Familienbetriebes ein Stück weit hinterfragen. Darum sind viele verunsichert. Klappt das System Lebenshof oder bio-vegane Landwirtschaft überhaupt? Wie reagiert die Familie auf eine Umstellung?

Dementsprechend sind die Zahlen an Anfragen bei uns noch gering, aber es werden von Woche zu Woche mehr. Und sobald wir auch in Deutschland ein stabiles Netzwerk aufgebaut haben, können wir hoffentlich auch alle Landwirt*innen beraten, denn das kann ich natürlich nicht allein. Vor allem wenn es mehr erfolgreiche Vorzeigeprojekte gibt, bei denen sichtbar wird, dass die Konzepte funktionieren, werden sich sicher noch mehr Landwirt*innen bei uns melden.

Es gibt aber natürlich schon gute Erfahrungen im Bereich der Lebenshöfe, aber auch beim bio-veganen Anbau. Ein wichtiger Akteur ist dabei der Förderkreis biozyklisch-veganer Anbau e.V., mit dem wir einen engen Kontakt pflegen.

 

Du hast bereits erwähnt, dass es für Landwirt*innen Widerstände zu überwinden gilt, wenn es um eine Auseinandersetzung mit dem Thema tierleidfreie Landwirtschaft geht. Was sind die Hauptmotivationen der Landwirt*innen, sich trotzdem an Euch zu wenden?

Unter anderem weil Themen wie Artensterben, Klimawandel und Ressourcenknappheit immer mehr in die Mitte der Gesellschaft rücken, stehen Landwirt*innen einfach unter einem gewissen Druck. Und dieser Druck von außen beeinflusst das Arbeitsleben und die Arbeitsweise und irgendwann macht die Arbeit keinen Spaß mehr, wenn ich sehe, dass ich mit meinem Handeln Schaden anrichte. Das betrifft zum einen das Thema Ökologie und zum anderen das Thema Tierethik. Auch die Tierethik spielt in der Gesellschaft eine immer wichtigere Rolle und irgendwann bekommt man das als Betreiber*in eines Hofes natürlich mit und beginnt ebenfalls Gewohntes zu hinterfragen. 

Dann kommen natürlich finanzielle Gründe hinzu. Die Preise sind selbst im Biosektor vor allem für tierische Produkte sehr instabil. 

Wenn sich eine Landwirtin oder ein Landwirt bei uns meldet, ist es in der Regel eine Kombination aus drei Motivatoren: Die ethische, die ökologische und die finanzielle Motivation. 

Mittlerweile ist es aber so, dass sich Landwirt*innen nicht unbedingt aufgrund einer Notlage bei uns melden, sondern weil sie von anderen Lebenshöfen gehört haben oder selbst gesehen haben, dass es dort gut läuft und eine erfüllende Arbeit erzeugt wird. Also können auch Positivbeispiele anderer Betriebe den Weg weisen. 

 

Am Konzept der Lebenshöfe wird kritisiert, dass diese finanziell von Tierpatenschaften abhängig und selten dazu in der Lage seien sich durch landwirtschaftliche Produktion zu tragen.

Diese Kritik hören wir immer wieder. Es wird auch gesagt, Lebenshöfe seien gar kein Teil der Landwirtschaft, denn Lebenshöfe trügen nicht direkt zur menschlichen Ernährung bei. Das stimmt natürlich. Wir als Tierethiker*innen schreiben Tieren allerdings das volle Recht auf Leben zu. Das bedeutet aber, dass allein die Möglichkeit für das Tier zu leben ein Wert an sich ist. Außerdem verstehen wir Lebenshöfe auch als Übergangsmodell zur bio-veganen Landwirtschaft. 

Natürlich versuchen die Lebenshöfe, die Tiere, die bei ihnen leben, zu finanzieren. Und ja, das funktioniert z. B. über Spenden. Es gibt allerdings zwei Dinge zu beachten. Zum einen ist eine Spende nicht gleichzusetzen mit einem Almosen ohne Gegenleistung. Wenn ich zum Beispiel eine Patenschaft abschließe, bekomme ich dafür ein Stück verbesserte Welt zurück. Zum einen, weil Lebenshöfe mit den Tieren auch Bildungsarbeit betreiben, das heißt so ein Tier ist eine Art Botschafter und hat als solcher eine wichtige Rolle. Menschen, die in der Stadt wohnen und eine Patenschaft abschließen, kommen aufs Land, können den Hof besuchen und bekommen z. B. Hofführungen. Man bekommt also etwas zurück. Man könnte sagen, man “erwirbt” ein Leben.

Der zweite Punkt ist, dass die europäische Landwirtschaft zu großen Teilen durch Subventionen finanziert ist. Das heißt, dass Landwirt*innen für diese Gelder gewisse Regularien einhalten müssen, diese Gelder aber nicht durch den Verkauf von Produkten erwirtschaftet werden. Wenn die Subventionen wegfallen würden, wären landwirtschaftliche Betriebe genauso wenig überlebensfähig wie ein Lebenshof, dem die Patenschaften wegfallen.

Bei der Beratung versuche ich aber auch zu erwirken, dass auf dem Betrieb irgendeine Art der Lebensmittelerzeugung realisiert wird. Das ist nicht immer möglich, weil manche einfach kein Ackerland besitzen, aber wenn es möglich ist, versuchen wir ein Konzept zu finden, um Kulturen anzubauen. Wir haben z. B. einen Lebenshof beraten, der jetzt Biokartoffeln anbaut, weil er dafür Abnehmer gefunden hat. Neben der Haltung von Lebenstieren produziert er also auch für die menschliche Ernährung.

 

Der erste Schritt von den Lebenshöfen zur bio-veganen Landwirtschaft ist also getan und es müssten nur weitere Schritte folgen?

Wenn ich berate, versuche ich die Landwirt*innen nicht in irgendwelche Schubladen zu stecken und ihnen vorzugeben, was sie zu machen haben. Diesen Menschen ist einfach am wichtigsten, dass sie eine Motivation erlangen. Sie können etwas verändern, wenn sie es nur wollen. 

Ganz wichtig ist auch, dass Alternativen aufgezeigt werden. Und ob das der Kartoffelanbau ist oder ob ich eine Katzen-Kastrationsstation aufbaue, ist erst einmal egal. Es geht darum, dass die Betriebsleiter*innen eine für sich passende Alternative finden. 

Es ist aber schon so, dass wir das Modell Lebenshof langfristig als Übergangslösung sehen und auf eine bio-vegane Landwirtschaft hinarbeiten wollen.

 

Welche Erfahrungen machst Du mit Landwirt*innen, die kaum Berührungspunkte zur veganen Landwirtschaft haben? Wie begegnen Dir diese Landwirt*innen ?

Da ich gerade selbst einen Gemüsebaubetrieb aufbaue, ist die Kooperation mit Landwirt*innen in meiner direkten Umgebung sehr wichtig für mich. Bisher habe ich damit sehr positive Erfahrungen gemacht. Es ist hier vor Ort, genauso wie bei meiner beratenden Tätigkeit einfach wichtig, dass man den Landwirt*innen wertschätzend gegenübertritt und nicht kritisiert oder abwertet. Ich versuche eine offene Haltung zu bewahren, nach dem Motto “Du hast Dein Modell und ich habe mein Modell, wir können nur voneinander lernen”. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mich dank dieser Haltung die Landwirt*innen gern unterstützen. Und auch wenn sie ganz andere Modelle leben, denke ich, dass sich in den Köpfen was tut oder tun wird. 

 

Was bräuchte es Deiner Meinung nach, um eine tierfreie Landwirtschaft weiter zu normalisieren?

Dazu braucht es mehrere Faktoren. Zum einen müssen wir in der Bildung einen ganz großen Schritt nach vorn machen. Es bräuchte schon im Kindesalter eine Sensibilisierung dafür, was es überhaupt bedeutet, Nahrungsmittel herzustellen. Eine Reform der Bildung hätte nicht zuletzt einen Einfluss auf das Verhalten der Konsument*innen. 

Aus meiner Perspektive bräuchte es auch mehr Berater*innen im Bereich des bio-veganen Landbaus. Das wäre sehr wichtig und daran arbeiten wir natürlich. Diese könnten mehr Vorzeigebetriebe ins Leben rufen, damit sich Landwirt*innen auch etwas von Positivbeispielen abschauen können.

Ein weiterer wichtiger Faktor wäre, dass die Wissenschaft diesem Thema mehr Aufmerksamkeit schenkt. Ein Problem der bio-veganen Landwirtschaft ist, dass es viel zu wenige Studien und Belege gibt, die Aussagen über die Vorteile und Nachteile der bio-veganen Landwirtschaft treffen. Denn wenn etwas wissenschaftlich erforscht ist, hat es noch mal eine ganz andere Wirkung auf die Gesellschaft.  

 

Gibt es noch etwas, was Du uns abschließend mit auf den Weg geben möchtest?

Eine Sache möchte ich nicht unerwähnt lassen. Ich bin zwar Berater, aber das mache ich zum einen ehrenamtlich und zum anderen habe ich keine Ausbildung zum Berater gemacht. Ich habe zwar ein paar psychologische und pädagogische Hintergrundkenntnisse, aber ich sehe mich nicht lediglich als Berater sondern in vielen Fällen eher als Verknüpfungsstelle. Das heißt, wenn ich sehe, dass eine Landwirtin diesen oder jenen Bedarf hat, stelle ich Kontakte zu den jeweiligen Fachleuten her. 

Oft werde ich nämlich gefragt, wie ich so vieles wissen und zu so vielem beraten könne. Ich kann natürlich gar nicht zu allem beraten, das möchte ich auch nicht. Ich möchte das mit verschiedensten Akteur*innen gemeinsam machen. Auch die anderen Mitarbeitenden bei BeVeLa haben ganz unterschiedliche Hintergründe. Und das ist eine wichtige Erkenntnis und Motivation auch für andere Aktivist*innen: Man muss keine Expertin in Sachen Landwirtschaft sein, um nicht selbst auch in bestimmten Angelegenheiten beraten zu können. Das Wichtigste bei der Beratung ist tatsächlich zu motivieren. Und auch wenn ich nur wenig Ahnung von den Einzelheiten der Materie habe, kann ich verknüpfen und Kontake herstellen. Damit ist schon viel gewonnen. 

 

¹ Gewaltfreie Landwirtschaft bezeichnet eine Form der Landwirtschaft, deren Arbeitsweisen und Methoden so gewählt und angewandt werden, dass den Lebewesen im Betriebskreislauf so wenig geschadet wird. Gewaltfreiheit kann nie vollstens umgesetzt werden, aber Wirtschaftsformen wie der biovegane Pflanzenbau oder Lebenshöfe versuchen dieses Ziel so gesamtheitlich wie möglich zu denken und umzusetzen.

 

Dieser Artikel steht unter folgender CC Lizenz: BY-ND-NC