Vor ca. 10.000 Jahren hat die Menschheit begonnen, einjährige Kulturpflanzen zu züchten. Damit wurden die Grundsteine der modernen Landwirtschaft gelegt, in der vor allem Süßgräser wie Weizen, Reis und Mais angebaut werden. Dafür müssen Landwirt*innen jedes Jahr aufs Neue den Boden bearbeiten, düngen und neue Pflanzen einsäen. Das ist energieaufwändig und führt tendenziell zum Abbau der organischen Substanz des Bodens - mit negativen Folgen für die Bodenfruchtbarkeit und die Stabilität des Klimas. Wenn wir nicht verhungern wollen, haben wir jedoch keine andere Wahl. Oder doch? Im Interview mit Franziska Wolpert und Hendrik Gaede geht es um das Potenzial von Bäumen und Sträuchern zur Lebensmittelerzeugung.
Vor 4 Jahren haben Franziska Wolpert und Hendrik Gaede die Baumschule Wurzelwerk gegründet. Das Besondere an ihrer kleinen Spezialbaumschule: Es werden hauptsächlich Gehölze für die Lebensmittelerzeugung vermehrt, zum Beispiel Esskastanien, Nüsse und Feigen. Dabei arbeitet Wurzelwerk ganz bewusst kaum mit einheitlichen Sortenklonen. Im Gegensatz zu vielen anderen Baumschulen kommen genetisch vielfältige Populationszüchtungen zum Einsatz. Diese tragen dazu bei, künftige Baumbestände resilienter gegenüber Umweltveränderungen, Schädlingen und Krankheiten zu machen.
Angenommen Du könntest entscheiden, welches Thema als nächstes in der Landwirtschaftspolitik diskutiert wird – welche Reform würdest Du dann gern voranbringen?
Franziska Wolpert: Ich würde dafür sorgen wollen, dass Agroforstsysteme, also eine bodenaufbauende Landwirtschaft gesetzlich gestärkt wird. Es braucht eine massive Förderung für Bäume und Sträucher in der Landwirtschaft.
Was würden wir dadurch gewinnen, mehrjährige Kulturen in der Landwirtschaft zu fördern?
Franziska Wolpert: Ein Hauptproblem, was wir damit angehen würden, ist Bodenerosion. Weltweit geht viel mehr Boden durch Erosion verloren, als in der gleichen Zeit neu gebildet wird. Wenn dieser Trend so weitergeht, haben zukünftige Generationen garantiert nicht mehr genügend zu Essen. Bäume in der Landschaft können die Bodenerosion mindern und sogar den Bodenaufbau fördern.
Bäume können außerdem sehr vorteilhaft für den Wasserhaushalt von Flächen sein. Als Windbremsen können sie die Austrocknung der Landschaft vermindern. Durch die Verdunstung von Wasser kühlen sie die Landschaft, sie wirken wie natürliche Klimaanlagen. Das merken wir auch, wenn wir an heißen Tagen im Wald spazieren gehen. Darüber hinaus schaffen sie Lebensräume, die die Biodiversität stärken.
Und wie kann das mit der Lebensmittelerzeugung in Einklang gebracht werden?
Franziska Wolpert: Bäume können in Kombination mit einjährigen Kulturpflanzen gepflanzt werden, wie das häufig in Agroforstsystemen gemacht wird. Damit wird der Anbau klassischer Grundnahrungsmittel, wie z.B. Weizen, schon etwas nachhaltiger realisiert. Was dabei aus meiner Sicht häufig vernachlässigt wird, ist die Möglichkeit, Nahrungsmittel von den Bäumen selbst zu gewinnen. Dabei geht es nicht nur um Haselnüsse, Walnüsse und andere Nüsse als Protein- und Fettquellen, sondern auch Kohlenhydratquellen wie z.B. Esskastanien. Unter den Bäumen können außerdem Tiere weiden.
Dabei ist nicht zu vernachlässigen, dass Lebensmittel von Bäumen besonderes Potenzial für die Lebensmittelsicherheit bergen. Die Ernte lässt sich zwar mechanisieren, um den Anbau in großem Stil zu ermöglichen. Wenn es allerdings tatsächlich zu Lieferengpässen und Energieknappheit kommen sollte, könnte man aber auch ohne den Einsatz großer Maschinen weiterhin ernten. Wenn ich hingegen versuchen müsste, mein Getreide von Hand zu dreschen, da ich kein Öl mehr habe, hätte ich ein viel größeres Problem.
Es gibt viele geschichtliche Beispiele mit Baumkulturen als Hauptnahrungsquelle, wie z.B. die Esskastanienkulturen im Mittelmeerraum (Esskastanien sind auch bekannt als Baumgetreide), Haselnusskulturen in Mitteleuropa oder Walnusskulturen in Kirgistan.
Diese Vorteile sind ja vor allem auf Ökologie und Resilienz ausgerichtet. Gäbe es noch weitere Anreize für Bäume in der Landwirtschaft?
Hendrik Gaede: Wirtschaftlichkeit. Es rechnet sich jetzt, mehrjährige Kulturen zu pflanzen und es ist an sich so viel einfacher.
Franziska Wolpert: Wenn man als Landwirt statt für Ackerbau für Dauerkulturen EU-Förderungen beantragt, dann kriegt man fast dreimal mehr Geld, zumindest bei der Öko-Förderung als Dauerkultur. Auch das kann ein Grund für Landwirte sein, Bäume anzupflanzen.
Und trotzdem ist es im Moment nicht so, dass Landwirt*innen in großem Stil Bäume auf die Äcker bringen. Woran liegt das aus Deiner Sicht?
Franziska Wolpert: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Für Dauerkulturen braucht es eine längerfristige Planung und einen höheren anfänglichen Investitionsaufwand. Außerdem geht mit dem Pflanzen von Dauerkulturen auf landwirtschaftlichen Flächen eine gewisse rechtliche Unsicherheit einher. Wenn die Dauerkulturen nämlich naturschutzrechtlich irgendwann als Landschaftselement gelten würden, dann könnten sie die Landwirt*innen nicht mehr so einfach entfernen.
Und da gibt es keine Alternative, die den Landwirt*innen mehr Spielraum bei der Nutzung ihrer Flächen lässt?
Franziska Wolpert: Alternativ gäbe es eine Agroforstförderung, mit der also Systeme gefördert werden können, in denen Bäume oder Sträucher gemeinsam mit einjährigen Kulturen auf einer Fläche angebaut werden. Die Fördersummen dafür sind derzeit allerdings sehr gering. Außerdem wird in Agroforstsystemen derzeit eher wenig auf Dauerkulturen zur Nahrungsmittelerzeugung fokussiert. Stattdessen wird hier häufig Wertholz und Energieholz gepflanzt.
Woran liegt das?
Hendrik Gaede: Wertholz zu erzeugen ist vermeintlich einfacher. Energieholzanbau ist leicht mechanisierbar, das ist wirklich einfach und es geht schnell. An dieser Stelle sehe ich allerdings die Gefahr, dass sehr oft genetisch homogene Klone angebaut werden. Dann würde im schlimmsten Fall ein einziger neuer Schädling ausreichen, um ganze Ernten zu vernichten. Wir müssen da mehr Diversität hereinbringen, z.B. durch Kombinationen aus Pappelstreifen, Robinienstreifen und Maulbeerstreifen, anstatt immer nur gleiche Sorten. Dann ist Energieholz sicher sinnvoll, um auf großen Betrieben leicht mechanisierbar überhaupt erst einmal Bäume und damit Strukturen in die Landschaft zu bringen. Wertholz halte ich hingegen für wenig sinnvoll, denn ich glaube, wir haben in ein paar Jahrzehnten andere Probleme, als irgendwelche Luxusyachten mit hochwertigen Materialien auszustatten.
Mit der rechtlichen Unsicherheit habt Ihr bereits eine zentrale Hürde für die Verbreitung von Dauerkulturen zur Nahrungsmittelerzeugung genannt. Was braucht es derzeit noch für Impulse aus Wissenschaft und Praxis, um Dauerkulturen in der Landwirtschaft weiter zu verbreiten?
Hendrik Gaede: Es braucht Leute, die es wagen, einfach mal 100 Bäume zu pflanzen, auch ohne vorher genau zu wissen, ab wann sich rechnet. Und glücklicherweise gibt es solche Leute auch schon. Und es braucht Leuchtturmprojekte, die zeigen, dass man auch in größerem Stil Bäume zur Lebensmittelerzeugung anbauen kann und dass derartige Projekte finanziell tragfähig sowie ökologisch wertvoll sind.
Franziska Wolpert: Außerdem muss die Wissenschaft enger mit der Praxis zusammenarbeiten. In der Praxis braucht es ganz viele Menschen, die den Mut haben, neue Dinge auszuprobieren, um zeigen zu können, was funktioniert. An dieser Stelle kommt dann wieder die Wissenschaft ins Spiel, um zu erklären, warum es an der einen Stelle gut funktioniert und an anderen Stellen vielleicht nicht.
Gibt es seitens der landwirtschaftlichen Fachbereiche an Universitäten überhaupt schon genügend Aufmerksamkeit für mehrjährige Kulturen?
Franziska Wolpert: Aus meiner Sicht gar nicht. Es gibt aber vereinzelt Forschungseinrichtungen, die das Thema stark vorantreiben, z.B. das Savanna Institute in den USA. Auch das Land Institute beschäftigt sich mit mehrjährigen Nutzpflanzen, dort geht es aber eher um mehrjähriges Getreide. Ansonsten hat z.B. Eric Toensmeier Studien veröffentlicht, in denen es um Ernährung mit mehrjährigen Pflanzen geht.
Warum hält sich die Aufmerksamkeit in der Wissenschaft so stark in Grenzen?
Franziska Wolpert: Das liegt auch daran, dass man es mit einigen Nischenthemen nicht so leicht hast, diese in Fachzeitschriften zu publizieren. Die Frage ist, an welchen Themen die Journals überhaupt Interesse haben. Wenn du die Wissenschaftlerin bist, die mit irgendwelchen randständigen Themen um die Ecke kommt und die Reviewer haben davon noch nie etwas gehört, dann ist es nicht leicht, überhaupt ein Journal für die Veröffentlichung zu finden.
Vor 4 Jahren habt ihr die Baumschule Wurzelwerk gegründet. Mit diesem Projekt leistet Ihr selbst einen praktischen Beitrag für die Verbreitung mehrjähriger Pflanzen zur Nahrungsmittelerzeugung, indem Ihr Jungpflanzen bereitstellt. Wie würdet Ihr Eure Rolle in der Entwicklung hin zu mehr Bäumen in der Landwirtschaft noch beschreiben?
Franziska Wolpert: Wir haben eine starke Vernetzungsrolle und sind in unseren Ansichten sehr radikal. Radikal in dem Sinne, dass wir die Wurzel des Problems adressieren. Unsere Vision einer Landwirtschaft mit Fokus auf mehrjährigen Kulturen ist einfach riesig. Uns ist klar, dass wir dieses Lebensziel nie erreichen werden, aber trotzdem ist es für uns das einzig sinnvolle, dieser Vision nachzugehen.
Hendrik Gaede: Anstatt kleine Rädchen schnell zu drehen und z.B. Urban Gardening Projekte zu machen, wollen wir das große Rad drehen, wenn auch nur ganz langsam. Also die Idee von mehrjährigen Grundnahrungsmitteln nach Deutschland bringen, die irgendwie in Vergessenheit geraten ist.
Warum wird diese Idee trotz der ökologischen Notwendigkeit zu großen Veränderungen als radikal wahrgenommen?
Hendrik Gaede: Das wird klar, wenn wir uns anschauen, was derzeit als normal gilt. Angenommen, Du hast einen Urwald vor Dir und es ist Dein Ziel, möglichst schnell eine Wüste zu erschaffen. Dann sägst Du erst alle Bäume weg und fängst an, den Boden regelmäßig zu bearbeiten, um den Humus abzubauen. Man nennt das auch pflügen. Aus einem anderen Blickwinkel wirkt das extrem, aber so funktioniert ein Großteil unserer heutigen Landwirtschaft.
Franziska Wolpert: Es liegt auch daran, dass das schon so lange zu unserer Kultur gehört und die meisten Menschen gar nicht über die Option nachdenken, von Bäumen Grundnahrungsmittel zu gewinnen. Das Klima im Kopf ist die größte Hürde.
Hendrik Gaede: Und für Landwirt*innen ist das noch viel fundamentaler. Ihnen ziehst du gleich den Boden unter den Füßen weg, wenn du einjährige Landwirtschaft als Ganzes hinterfragst.
Habt Ihr Strategien gefunden, wie Ihr damit umgeht? Wie könnt Ihr Eure Ideen am besten an Menschen bringen, für die das Thema neu ist und die eventuell mit Widerständen reagieren?
Franziska Wolpert: Nicht so etwas sagen, wie „Ihr Landwirte müsst mal...“. Wir bewirtschaften selbst Land und wissen, dass Landwirtschaft super schwierig geworden ist. Wir haben globale Herausforderungen zu bewältigen und tragen Verantwortung, aber es sind nicht die Landwirte, die allein die Schuld tragen. Wir müssen einfach fragen, wie wir als Gesellschaft diese Herausforderungen gemeinsam meistern können und dabei spielen mehrjährige Kulturen eine Rolle.
Ihr habt die Relevanz von Leuchtturmprojekten für eine positive Entwicklung schon angesprochen. Auf welche Projekte würdet Ihr selbst verweisen, wenn es darum ginge, Menschen zu inspirieren?
Hendrik Gaede: Die Arbeit des Savanna Institute und die Demonstrationshöfe, die sie gerade anlegen. Das ist die Arbeit, die wir auch in Deutschland brauchen. Die suchen sich einzelne Kulturen heraus, in denen sie wirtschaftliches Potenzial sehen. Dann wird das mit anderen Kulturen kombiniert und diese werden in Streifen auf Äcker gepflanzt, die dann die Äcker langsam überwuchern. Dadurch werden die Äcker mit der Zeit zu mehrjährigen Systemen. Das alles wird wissenschaftlich begleitet.
Franziska Wolpert: Ein Landwirt hat mit dem Anbau von Esskastanien begonnen und seit dem Jahr 2003 seine gesamten Aufwendungen und Einnahmen offengelegt. Damit zeigt er, dass es funktioniert und er ab dem 12. Jahr die Gewinnschwelle erreicht hat, allein aus dem Erlös der Esskastanien. Mit Subventionen und Investitionsförderung würde das deutlich schneller gehen. Im 14. Jahr hatte er einen Gewinn von fast 100.000 € auf 10 Hektar. Generell hat das Thema Agroforst in den vergangenen Jahren massiv an Aufmerksamkeit gewonnen und es ist leichter geworden, Projekte und Menschen zu finden, die wieder Bäume in die Landwirtschaft integrieren. Wir blicken gespannt in die Zukunft und freuen uns über alle, die zu einer regenerativen, aufbauenden Agrarkultur beitragen, in der Nuss- und Obst-Bäume eine zentrale Rolle spielen.
Weiterführende Links:
Baumschule Wurzelwerk und Beratung von Hendrik Gaede und Franziska Wolpert https://www.baumschule-wurzelwerk.de/
Deutscher Fachverband für Agroforstwirtschaft: www.agroforst-info.de
Blog über Regenerative Landwirtschaft: https://aufbauende-landwirtschaft.de/blog/
Forschungseinrichtung zu Mehrhährigen Kulturpflanzen in den USA: https://www.savannainstitute.org/
Agrofortst-Vorzeigebetrieb in den USA: https://newforestfarm.us/
Empfehlungen für Praktiker*innen
- Ein Blick in die Umgebung lohnt sich: Welche Bäume wachsen hier gut?
- Mit einer diverseren Testfläche starten. Die Erfolge können dann in größerem Maßstab angepflanzt werden.
- Nicht an Beratung und Pflanzqualität sparen.
- Beachten, dass der Pflegeaufwand in den ersten Jahren hoch ist und danach stark abnimmt.
Nahrungsmittel können überall angebaut werden (von der Minikiwi an der Hauswand und der Feige auf dem Balkon, über die Maulbeere im Garten bis hin großen Landschaften mit diversen Esskastanien, Nuss- und Obstbäumen.
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