In einer Gemeinschaft werden für den Abfall bestimmte Lebensmittel aus dem Einzelhandel gerettet und an Menschen mit geringen finanziellen Möglichkeiten verteilt oder gemeinsam zu einem anschließenden Abendessen verarbeitet. Solch ein Solidaritätstisch (auf Englisch ›solidarity table‹) eröffnet Menschen mit Migrationshintergrund, geringem Einkommen sowie Menschen ohne festen Wohnort, Arbeit oder Sozialhilfe die Möglichkeit, Zugang zu Nahrung und einer Gemeinschaft zu erhalten. Zudem werden mitunter in den gemeinsamen urbanen Gärten Bildungsworkshops zu Lebensmittelanbau, Kompostierung und Bienenzucht angeboten.[1]
Durch Rückgewinnung, Verarbeitung und Umverteilung wird der unerwünschten Lebensmittelverschwendung und -armut in Städten entgegengewirkt. Durch das Verteilen und gemeinsame Verzehren der Lebensmittel, wird die Ernährungssicherheit von Menschen in wirtschaftlichen Notlagen gestärkt. Indem dieses Konzept allen Menschen ohne Prüfung des Einkommens, Herkunft oder anderer Dokumente Mahlzeiten umsonst oder mit einem ›Pay as you feel‹ - Konzept zukommen lässt, wirkt es auch der sozialen Isolierung in der Gesellschaft von Menschen mit geringen finanziellen Möglichkeiten entgegen. Bei der Vorbereitung der Lebensmittelpakete, bei der Kollektion der LEH-Abfälle sowie dem gemeinschaftlichen Kochen (teilweise in mobilen Feldküchen) werden stets Menschen, die meistens selbst in einem prekären Umfeld leben, ehrenamtlich mit eingebunden.[2] Diese Integrationsstrategie soll horizontale Solidarität, Emanzipation aus der eigenen Situation heraus und aktive Bürgerbeteiligung fördern.
Collectactif - Belgien, Collectmet (und Palletactif, veloactif, Cuisine du monde pour tous le monde) - Belgien, Pervolarides - Griechenland, Agroecopolis - Griechenland, Ethos - Griechenland, The Real Junk Food Project Brighton - Vereinigtes Königreich, Tunceli, Ovacik – Türkei
Konsum, Abfall und Wiederverwertung
Migranten und Migrantinnen, Ehrenamtliche, LEH, Lieferanten und Lieferantinnen
Es gibt ähnliche Konzepte, wie die deutsche Tafel, die seit 1993 aktiv ist. Doch durch die steigende Lebensmittelverschwendung, welche mittlerweile bei 11 Mio. Tonnen Lebensmittelabfall pro Jahr in Deutschland angelangt ist[3], stieg die Zahl an Initiativen an, die Lebensmittel retten (→ Foodsharing[4]). Neben der Klimakrise hat sich vor allem durch die Globale Finanzkrise ab 2007 die Lage von einkommensschwachen Haushalten in der Europäischen Union, und von vielen Menschen im Global Süden stark verschärft. Durch die Migrationskrise kam es vor allem in europäischen Städten zu Engpässen bei der Nahrungsversorgung sozial- und ökonomisch isolierter Menschen. Im Zuge dessen wurden viele dieser Initiativen in den letzten 5-10 Jahren gegründet.
Diese Initiativen verbreiten sich vor allem in urbanen Regionen, wo sich die Vielfachkrise zuerst spüren lässt. Sie sind insbesondere dort relevant, wo öffentliche Systeme nicht nachkommen, isolierte Menschen zu verpflegen. Würden die Initiativen weiterwachsen, so könnten auch die Lebensmittelverschwendung eingedämmt werden. Zum Beispiel wurden in Thessaloniki, wo Pervolarides eine solche Initiative gegründet hat, im Jahr 2018 geschätzte 10 Tonnen ungewollte Lebensmittel wiederverwertet.[5]
Die Nische bietet eine Lösung für die Minderung der Lebensmittelverluste durch deren „Weiternutzung“, sie setzt allerdings nicht an den Ursachen, nämlich der Vermeidung von Abfällen in erster Instanz, an. Es besteht das Risiko, dass Lebensmittel weiterhin im Übermaß produziert und entsorgt werden, wenn durch die Nischeninitiativen eine sichere Abnahme ungewollter Lebensmittel gewährleistet wird.
Die Nische bündelt gleich mehrere Nachhaltigkeitspotenziale. Neben den ökologischen und ökonomischen Zielen, hilft sie besonders im sozialen Bereich, den Leidensdruck der Akteure und Akteurinnen symptomatisch zu verringern. Die Nische setzt allerdings nicht direkt am Ursprung der herrschenden Problemsituationen der Migranten und Migrantinnen sowie einkommensschwacher und sozial isolierter Menschen an. Diese sozialen Missstände müssten durch Gesetze sowie soziale Einrichtungen und Förderungen von staatlicher Seite aus verbessert werden. Es besteht die Gefahr, dass dieses zivilbürgerliche Engagement als selbstverständlich wahrgenommen wird und damit der Druck auf Änderungen an den erwähnten entscheidenden Stellschrauben weniger wird.
[1] Agroecopolis (2018): Cooking together for all. Web, 13.10.2019.https://www.agroecopolis.org/cooking-together-for-all/
[2] Vluchtelingenwerk Vlaanderen (2017): Cuisine du monde pour tout le monde. Web, 13.10.2019.https://www.gastvrijegemeente.be/initiatieven/cuisine-du-monde-pour-tout-le-monde
[3] Bundeszentrum für Ernährung (o. J.): Lebensmittelverschwendung. Web, 13.10.2019.https://www.bzfe.de/inhalt/lebensmittelverschwendung-1868.html
[4] Haack, M., Engelhardt, H., Gascoigne, C., Schrode, A., Fienitz, M. & Meyer-Ohlendorf, L. (unveröffentlicht): Sozial-ökologische Transformation des Ernährungssystems: Nischen des Ernährungssystems. Dessau-Roßlau: Umweltbundesamt.
[5] Pervolarides (2018): Pervolarides Activties Dokument. Pervolarides of Thessaloniki.