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Backkampagne für mehr Vielfalt auf dem Acker

Die Backkampagne "Pop-Kruste" schafft ein Bewusstsein für die Bedeutung der biologischen Vielfalt auf dem Acker. Dies gelingt dank der Zusammenarbeit von Forschung, Landwirtschaft, Mühlen und 14 Bäckereien aus ganz Deutschland.

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Ⓒ Capture Moments

Für die Frage, wie wir mehr Vielfalt in die Landwirtschaft bekommen, gibt es eine schier unendliche Menge an wissenschaftlichen Fachpublikationen mit vielen empirischen Ergebnissen und Konzepten zur Vielfalt in der Landwirtschaft. Geht es dann aber in die Praxis, wird die Luft relativ schnell sehr dünn. Vor allem, wenn es um Ansätze geht, die über die durch EU-Normen und Fachverbände regulierte Ökolandwirtschaft hinausgehen. Mehr biologische Vielfalt im landwirtschaftlichen Produktionssystem selbst – also nicht als kurz angelegter Blührandstreifen – scheint der Rationalität von Produktionssystemen zuwider zu laufen. Vielfalt schafft heterogene Produktionsbedingungen, heterogene Qualität oder kurz Chaos, welches durch einen erhöhten Aufwand im Management ausgeglichen werden muss. Mögliche Vorteile, wie eine verbesserte Pflanzengesundheit, stärkere Unkrautunterdrückung und Ertragsstabilität und damit ein geringerer Bedarf an Pflanzenschutzmaßnahmen werden zwar anerkannt. Diese werden allerdings oft gegenüber den Herausforderungen des Managements der biologischen Vielfalt als unzureichend betrachtet. Um den praktischen Gegenbeweis anzutreten, hat ein Team der Universität Kassel im Fachgebiet Ökologischer Pflanzenschutz (Odette Weedon) und Betriebswirtschaft (Torsten Siegmeier) zusammen mit Landwirt*innen, Mühlen und Bäckereien die Backkampagne Pop-Kruste in Deutschland gestartet. Deutschlandweit kann man in 14 Bäckereien Brote kaufen, die aus dem Mehl von Weizenpopulationen gebacken wurden. Eine Tabelle mit allen Bäckereien findet man am Ende der Erstveröffentlichung dieses Artikels.
 

Weizenpopulationen sind im Gegensatz zu Weizenstandardsorten genetisch divers bzw. heterogen. Sie bestehen aus Tausenden von genetisch verschiedenen einzelnen Weizenpflanzen, die die Population aufbauen. Dies kann man auch direkt erkennen, wenn man auf dem Acker steht. Je nach Art der Weizenpopulationen unterscheiden sich die Pflanzen in ihrer Höhe, der Ährenfarbe oder weniger sichtbar aber genauso wichtig in den Resistenzen gegen Pathogene und ihren Wurzeleigenschaften. Dies kann zu einer Reihe von Vorteilen führen, vor allem zu einer besseren Pflanzengesundheit und Ertragsstabilität (Literatur zu dieser Thematik und allen anderen fachlichen Aspekten dieses Beitrags finden sich am Ende des Artikels).
Die Zusammenarbeit agrarökologischer Forscher*innen mit Akteur*innen aus der Wertschöpfungskette ist ein zentraler strategischer Schritt, um agrarökologische Ansätze und mehr biologische Vielfalt in die Praxis und bis zu den Konsument*innen zu bringen.

Damit ist der Start dieser Backkampagne ein wirklicher Meilenstein für die agrarökologische Forschung, die landwirtschaftliche Praxis, die Lebensmittelverarbeitung und damit unseres Ernährungssystems als Ganzes. Viele wissenschaftliche Ideen enden mit der Publikation in einer Fachzeitschrift. Die Weizenpopulationen nicht.
Seit einiger Zeit gibt es in der Agrarökologie einen sogenannten food-system-turn, in dem davon ausgegangen wird, dass man nur in Zusammenarbeit mit Akteur*innen der Wertschöpfungskette agrarökologische Konzepte in die Praxis bringen kann. Dieser Ansatz findet seine praktische Umsetzung in dieser Backkampagne. Damit öffnet sich auch die Tür für neue Ideen von Bäcker*innen aber natürlich auch auf der Ebene der Vermarktung und Kommunikation, die die Weizenpopulationen bereichern können.
Es gibt durchaus eine Reihe von Herausforderungen für die Weizenpopulationen, z.B. die Verknüpfung von Diversität mit Zuchtfortschritt und moderner Genetik. Diese Herausforderungen können aber nur gemeistert werden, wenn auf der Nachfrageseite von Bäckereien und Konsument*innen Vielfaltsweizen eine starke Wertschätzung erfährt und dadurch neue Ressourcen für diese Herausforderungen frei werden.

Hoffentlich findet ihr in eurer Umgebung eine beteiligte Bäckerei und könnt das Brot verkosten. Die nächste beteiligte Bäckerei ist leider 170 Kilometer entfernt von meiner Heimat Essen in Lemgo. Aber in meiner Zeit in Witzenhausen durfte ich im Labor von Maria Finckh einige Male probieren. Das hat ziemlich gut geschmeckt und ich wäre sehr gespannt zu verkosten, was professionelle Bäckereien hieraus zaubern können.

 

Dieser Artikel ist zuerst erschienen auf

bio-kultur.org

 

Fachliteratur

Zu den agronomischen Vorteilen von Weizenpopulationen

Weedon, O. D., and Finckh, M. R. (2019). Heterogeneous Winter Wheat Populations Differ in Yield Stability Depending on their Genetic Background and Management System. Sustainability 11, 6172.

Weedon, O. D., and Finckh, M. R. (2021). Response of wheat composite cross populations to disease and climate variation over 13 generations. Front. Agric. Sci. Eng. 8, 400–415. doi:10.15302/J-FASE-2021394.

Zu den generellen Vorteilen von Diversität im Pflanzenschutz

Finckh, M., Junge, S., Schmidt, J., Šišić, A., and Weedon, O. (2021). lntra- and interspecific diversity – the cornerstones of agroecological crop health management. in Aspects of Applied Biology, 193–206.

Zum food-system-turn in der Agrarökologie

Francis, C., Lieblein, G., Gliessman, S., Breland, T. A., Creamer, N., Harwood, R., et al. (2003). Agroecology: the ecology of food systems. J. Sustain. Agric. 22, 99–118.

Gliessman, S. R. (2015). Agroecology: the ecology of sustainable food systems. Boca Raton, Florida, USA: CRC press.

Zur Kombination von Diversität und Zuchtfortschritt bei Weizenpopulationen

Timaeus, J., Weedon, O. D., and Finckh, M. R. (2021). Combining Genetic Gain and Diversity in Plant Breeding: Heritability of Root Selection in Wheat Populations. Sustainability 13, 12778. doi:10.3390/su132212778.