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Verfasst von Clara Menke, Lydia Kitz, Helen Engelhardt
Letzte Aktualisierung: 05.06.2023
Bei der Erweiterung landwirtschaftlicher Flächen ist zwischen der direkten Erweiterung durch die Erschließung neuer Flächen und der Doppel- bzw. Mehrfachnutzung von bereits in Anspruch genommenen Flächen zu unterscheiden.
ZeroAcreage Farming beschreibt Formen der Landwirtschaft, die ohne die Nutzung herkömmlicher landwirtschaftlicher Nutzflächen auskommen. Hierzu zählt der Anbau in (Vertical Farming), an (begrünte Gebäudewände) und auf Gebäuden (Gärten und Gewächshäuser auf Hausdächern) (vgl. Specht et al., 2013: 35).
Zur erstgenannten Kategorie des ZeroAcreage Farming zählt Indoor Farming. Bei dieser Form erfolgt der Anbau von Lebensmitteln in einem geschlossenen Raum ohne Sonnenlicht; als Ersatz dienen LED Lampen, die zielgerichtet gesteuert werden können (vgl. Wong et al., 2020: 49 ff.; Rajan et al., 2019: 1402).
Oft wird diese Produktionsform als Vertical Farming bzw. vertikale Landwirtschaft betrieben. Dabei wachsen Gemüse und Obst auf wenigen Quadratmetern übereinander in mehreren Etagen. Es wird angenommen, dass durch den geschlossenen Kreislauf keine Schädlinge und Krankheiten eindringen können. Außerdem ist der Wasserverbrauch wegen der zielgenauen Steuerung geringer als bei herkömmlicher Produktion. Vorteilhaft ist auch der reduzierte Einsatz von Düngern (geringerer Nährstoffverlust) und der nicht vorhandene Bedarf an Pestiziden.
Dadurch, dass beim Indoor Farming jegliche Bedingungen geschaffen werden können, ist auch eine Kultivierung nicht regionaler Sorten möglich, Transportwege sind kürzer und eine ganzjährige Ernte kann realisiert werden (vgl. Gentry, 2019: 191, 196). Häufig werden Microgreens (junge, essbare Keimpflanzen) in Indoor Farms angebaut; sie sind reich an Energie bei geringem Platzanspruch (vgl. Rajan et al., 2019: 1398). Im Hinblick auf Klimaaspekte wird die Nachhaltigkeit von Indoor Farmen wegen ihrer Energieintensität insgesamt debattiert; die punktuelle Erzeugung von Treibhausgasemissionen wie Methan, Stickstoff und Kohlendioxid (wie sie in der Landwirtschaft “unter freiem Himmel” entstehen) kann durch Indoor Farming reduziert werden (vgl. Stein, 2021: 6).
Europas größte vertikale Farm steht derzeit in Dänemark (Nordic Harvest). Das Berliner Unternehmen Infarm verkauft kleine vertikale Farmen, die über eine cloudbasierte Plattform kontrolliert und gesteuert werden können. Betriebe wie der Kasseler Bunkerpilz erschließen sich neue Flächen unter der Erde, indem private oder ungenutzte Kellerräume bepflanzt werden (vgl. Meyer, 2022). Durch die Cradle-to-Cradle Produktion wird im gesamten Produktionsprozess auf die Nutzung weiterer Flächen verzichtet.
Auch Aquaponik ist eine besondere Art der Flächenausweitung durch vertikale Landwirtschaft. Dabei wird Fischzucht kombiniert mit der Aufzucht von Pflanzen, indem das Prozesswasser zusätzlich für die Nährstoffversorgung von Pflanzen genutzt wird. Da die Fische einen Großteil der Nährstoffe für die Pflanzen bereitstellen, bedarf es keiner zusätzlichen Düngung. Insofern ist die Produktion ressourcenschonend und gleichzeitig effizient (vgl. Baganz et al., 2022: 253).
Eine Methode zur Nutzung städtischer Flächen ist das Guerilla Gardening. Durch die Bepflanzung von Flächen entstehen nicht nur grüne Oasen und Lebensmittel in Städten, damit einher geht auch der politische Anspruch, städtischen Raum zurückzuerobern und auf fehlende Lebensqualität und Planungsdefizite hinzuweisen (vgl. Müller, 2011: 281). Stark geprägt wurde Guerilla Gardening von Richard Reynold. Er beschreibt das Konzept als “eine Schlacht um die Ressourcen, ein[en] Kampf gegen Landmangel, gegen ökologischen Raubbau und verpasste Möglichkeiten” (Reynolds, 2009: 12). Unter anderem in Deutschland ist auch (legales) Urban Gardening verbreitet.
Urban Gardening oder zu Deutsch: Gemeinschaftsgärten nutzen ebenso wie Essbare Städte und einzelne Waldgarten Projekte mitunter ungenutzte Flächen in den Städten und tragen dadurch zur regionalen Versorgung bei. Dabei kann auch der Aspekt der Verbesserung des freien Zugangs zu Lebensmitteln eine Rolle spielen (→ Kapitel: Open Source, Open Access, Open Data).
Beispiele für eine Doppelnutzung landwirtschaftlicher Flächen sind sogenannte Agrar-Photovoltaikanlagen (Agri PV). Dabei erfolgen landwirtschaftliche und energetische Nutzung gleichzeitig und auf derselben Fläche. Eine Flächenerweiterung findet dabei also nur indirekt statt, indem für die Photovoltaikanlagen keine zusätzlichen Flächen bzw. weitaus weniger zusätzliche Flächen benötigt werden. Dies kann doppelt vorteilhaft sein, denn die Förderung mit Mitteln aus der Gemeinsamen Agrarpolitik ist weiterhin möglich, sofern die landwirtschaftliche Nutzung nur bis zu 15 % durch die Stromerzeugung beeinträchtigt ist (vgl. Die Bundesregierung, 2022a). Als Agri-PV Flächen ausgeschlossen sind Schutzgebiete, Grünland, naturschutzrelevante Ackerflächen und Moorböden aus Gründen des Natur- und Klimaschutzes. Politisch ist das Thema noch nicht sehr weit verbreitet und trotzdem beliebt. Landwirtschaftsminister Cem Özdemir sagte dazu: „Agri-Photovoltaik ermöglicht es unseren Landwirtinnen und Landwirten, einen Beitrag zur Versorgung mit erneuerbaren Energien zu leisten und landwirtschaftliche Nutzflächen trotzdem weiter bewirtschaften zu können. Unser Vorschlag beinhaltet Chancen für alle drei Bereiche, also ein Win-Win-Win für Klima, Natur und für unsere Landwirtschaft“ (Die Bundesregierung, 2022b). Auch durch eine Ertragssteigerung kann eine indirekte Ausweitung von Flächen vorgenommen werden. Beispiele sind Permakultur, Agrarökologie, Mischkulturen, Feldwaldanbau, Direktsaat (ohne Bodenbearbeitung) oder die Verbesserung der Resistenz von Pflanzensorten.
Auch die Nische Biointensive Landwirtschaft widmet sich der Ertragssteigerung durch eine Erhöhung der Bodenfruchtbarkeit. Ebenso kann im biozyklisch-veganen Anbau durch den Humusaufbau, die “abwechslungsreiche Fruchtfolge, Mischkulturen und den Anbau von Leguminosen wie Kleegras, Lupinen oder Erbsen” (Engelhardt et al., 2020: 39) die Bodenfruchtbarkeit verbessert werden.
Baganz, G. F. M., Junge, R., Portella, M. C., Goddek, S., Keesman, K. J., Baganz, D., Staaks, G., Shaw, C., Lohrberg, F., & Kloas, W. (2022). The aquaponic principle—It is all about coupling. Reviews in Aquaculture, 14(1), 252–264. https://doi.org/10.1111/raq.12596
Die Bundesregierung. (2022a). Eckpunktepapier BMWK, BMUV und BMEL. Ausbau der Photovoltaik auf Freiflächen im Einklang mit landwirtschaftlicher Nutzung und Naturschutz. Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Landwirtschaft/Klimaschutz/eckpunktepapier-photovoltaik-freiflaechen.pdf?__blob=publicationFile&v=3
Die Bundesregierung. (2022b). Gemeinsame Pressemitteilung. Bestehende Flächenpotenziale besser nutzen: Mehr Photovoltaik-Anlagen auf landwirtschaftlichen Flächen bei gleichbleibend hohem Naturschutz. Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2022/02/20220210-bestehende-flachenpotenziale-besser-nutzen-mehr-photovoltaik-anlagen-auf-landwirtschaftlichen-flachen-bei-gleichbleibend-hohem-naturschutz.html
Engelhardt, H., Brüdern, M., & Deppe, L. (2020). Nischeninnovationen in Europa zur Transformation des Ernährungssystems - NEuropa. Umweltbundesamt. https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/neuropa-steckbriefe
Gentry, M. (2019). Local heat, local food: Integrating vertical hydroponic farming with district heating in Sweden. Energy, 174, 191–197. https://doi.org/10.1016/j.energy.2019.02.119
Meyer, K. (2022). Kasseler Bunkerpilz | UrbaneProduktion.ruhr. Abgerufen 12. April 2023, von https://urbaneproduktion.ruhr/beispiel/kasseler-bunkerpilz/
Müller, C. (2011). Guerilla Gardening und andere Strategien der Aneignung des städtischen Raums. In M. Bergmann & B. Lange (Hrsg.), Eigensinnige Geographien: Städtische Raumaneignungen als Ausdruck gesellschaftlicher Teilhabe (S. 281–288). VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-93176-0_14
Rajan, P., Lada, R. R., & MacDonald, M. T. (2019). Advancement in Indoor Vertical Farming for Microgreen Production. American Journal of Plant Sciences, 10(08), 1397–1408. https://doi.org/10.4236/ajps.2019.108100
Reynolds, R. (2009). Guerilla gardening: ein botanisches Manifest (M. Annas, Übers.; Deutsche Erstausgabe). Orange Press.
Specht, K., Siebert, R., Hartmann, I., Freisinger, U. B., Sawicka, M., Werner, A., Thomaier, S., Henckel, D., Walk, H., & Dierich, A. (2013). Urban agriculture of the future: an overview of sustainability aspects of food production in and on buildings. Agriculture and Human Values, 31(1), 33.
Stein, E. W. (2021). The Transformative Environmental Effects Large-Scale Indoor Farming May Have On Air, Water, and Soil. Air, Soil and Water Research, 14. https://doi.org/10.1177/1178622121995819
Wong, C. E., Teo, Z. W. N., Shen, L., & Yu, H. (2020). Seeing the lights for leafy greens in indoor vertical farming. Trends in Food Science & Technology, 106, 48–63. https://doi.org/10.1016/j.tifs.2020.09.031
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