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Verfasst von Lydia Kitz, Helen Engelhardt, Clara Menke
Letzte Aktualisierung: 05.06.2023
Gemeinschaftlicher Landbesitz, Stammesbesitz, Staatsbesitz und ähnliche Formen geteilten Landbesitzes weisen weltweit eine lange Tradition und Geschichte auf (vgl. u. a. Woodin et al., 2010; Isakson & Sproles, 2008). Dass Land in Privatbesitz ist und einer gemeinschaftlichen Nutzung entzogen wird bzw. werden darf, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern bedingt durch historische, gesellschaftliche und politische Entwicklungen. So sind z.B. die Landbesitzverhältnisse in Mittelosteuropa geprägt durch Agrarreformen nach dem zweiten Weltkrieg, die gesellschaftliche Neuordnung unmittelbar nach diesem, dem Zusammenschluss in der Sowjetunion, der De-Kollektivierung nach 1989 sowie dem Beitritt einzelner Staaten in die EU (vgl. Siegrist & Müller, 2014: 2).
Eine Form der gemeinschaftlichen Landnutzung sind die Commons im engeren Sinne. Commons ist ein Begriff, der sich nicht passgenau ins Deutsche übertragen lässt. Verwandte Formen sind Gemeingut, Gemeineigentum, Allmende und weitere Rechtsformen. Zwischen diesen Begriffen und dem englischen Commons gibt es Überschneidungen, aber auch zahlreiche Abgrenzungen. Der Begriff Commons wird daher auch in Deutschland sowohl im Singular als auch im Plural verwendet. Einige Autor*innen sowie Vereine und Organisationen schlagen für das bessere Verständnis des Begriffs die Herleitung vom Wort Commening vor, was “zu teilen beziehungsweise gemeinsam zu nutzen und zugleich dauerhafte soziale Strukturen hervorzubringen, in denen wir kooperieren und Nützliches schaffen können” (Helfrich & Bollier, 2020: 19) bedeutet. Damit sind die Commons nicht einfach als ein Gut zu verstehen, wie es beispielsweise bei dem Begriff des Allgemeinguts der Fall ist, sondern als “ein Gefüge von Sozialstrukturen und -prozessen” (Helfrich & Bollier, 2015: 14), “lebendige soziale Strukturen, in denen Menschen ihre gemeinsamen Probleme in selbstorganisierter Art und Weise angehen” (Helfrich & Bollier, 2020: 20).
Historisch betrachtet gab es beispielsweise in Frankreich und England lange die Gewohnheit, landwirtschaftliche Flächen nach der Ernte zur gemeinschaftlichen Nutzung freizugeben, so dass die Bürger*innen diese zur Weidehaltung und Suche nach Ernteresten nutzen konnten (vgl. Baker-Smith, 2017: 4).
In England war common land vor Beginn der Einhegung, also der Privatisierung des Gemeindelands zugunsten des Landadels, vom 15. bis zum 19. Jahrhundert gängig (vgl. Clark & Clark, 2001: 1009). Im Jahr 1600 waren noch etwa 27 % des Landes common, wobei common hier als Landnutzungsform verstanden wird, die zumindest zeitweise im Jahr kollektiver Kontrolle unterlag.
Die Europäische Kommission definiert common land als “owned by a public authority (state, parish, etc.) over which another person is entitled to exercise rights of common” (European Union, 2019).
Wasteland war der einzige Landtyp, der keine Nutzungsrechte erforderte, anders als dies beim common land der Fall war, dessen Nutzung common rights erforderte. Wasteland war auch den ärmeren Bevölkerungsschichten zugänglich. Der Anteil von Wasteland an der Gesamtfläche betrug um 1600 weniger als 5 %; der Nutzwert war gering (vgl. ebd. 1034).
Noch heute sind gemeinschaftliche Landnutzungsformen als alternative Modelle zum Privatbesitz durch Betriebe in vielen Ländern präsent oder gar dominant (vgl. Gerstter et al., 2011: 8). Eurostat ermittelte für das Jahr 2013 für 15 europäische Länder eine Gesamtfläche von 7 % common land anteilig an der landwirtschaftlichen Nutzfläche dieser Länder (vgl. European Union, 2020).
Rund 64 % dieser Fläche waren 2013 in den Ländern Spanien (18 %), Rumänien (17 %), Griechenland (16 %) und dem Vereinigten Königreich (13 %) zu finden. Die höchsten Anteile an common land lagen in Griechenland (30 %), Kroatien (28 %), Bulgarien (18 %) und Rumänien (12 %).
Bestehende Formen der gemeinsamen Landnutzung bzw. des common land in Europa sind divers. Nicht zwangsläufig ist damit gemeint, dass sich das Land in öffentlicher Hand befinden muss.
Blau (vgl. 2018: 306) schlägt aufgrund einer umfassenden Analyse die Wanderweidewirtschaft der Rechtler*innen (von: Gemeinderechtsinhaber*innen) im Oberallgäu als Commons vor, die heutzutage häufig als Genossenschaften geführt werden. Die Rechtler*innen verwalten das Land dabei “entlang einer Mischung von obligatorischen Vorschriften, die sich sowohl aus Gewohnheitsrechten als auch dem Genossenschaftsgesetz Deutschlands ergeben” (ebd.). Landtitel sind an die Bewohner*innen der Häuser in den Dorfgemeinschaften der Rechtler*innen geknüpft. Haushaltsvorstände haben Stimmrechte innerhalb der Genossenschaften und können sich für offizielle Ämter bewerben (vgl. ebd.).
In der spanischen Gebietskörperschaft Galizien besteht bis heute eine weitere spezifische Form des Gemeineigentums: die montes vecinales en mano común (MVMC). Dabei liegen Verantwortung und Zuständigkeit für das Gebiet bei den lokalen, angrenzenden Dörfern und Gemeinden (vgl. Marey-Perez et al., 2015a: 5). Die etwa 3000 gemeinschaftlichen Produktionsbetriebe nehmen mit rund 700.000 ha etwa 23 % der Gesamtfläche von Galizien ein (vgl. Ana et al., 2012: 78). Eine Studie gibt Hinweise darauf, dass insbesondere eine hohe Anzahl an Bewirtschaftungsmaßnahmen durch die lokalen Gemeinschaften mit einem geringen Konfliktniveau einhergehen, wohingegen die Gemeinden mit einer hohen Anzahl an Konflikten keine Bewirtschaftungsmodelle vorweisen können. Bei Letzteren werden die Waldflächen nicht genutzt und wachsen mit Gestrüpp zu (vgl. Marey-Pérez et al., 2015b: 540). Insgesamt werden den MVMCs potentiell positive Auswirkungen auf die Entwicklung der Regionen zugesprochen, indem sie wirtschaftliche Aktivitäten fördern und damit dem Bevölkerungsrückgang entgegenwirken können (vgl. ebd.).
Rumänien verfügt über unterschiedliche Konzepte der gemeinsamen Landnutzung: composesorat, obste und izlaz (vgl. Baker-Smith, 2017: 5). Bei composesorat und obste befindet sich der Besitz in privater Hand, wird aber von den Mitgliedern geteilt. Die Mitgliedschaft kann an die Wohnsitznahme gebunden sein oder vererbt werden (obste). Bisweilen ist auch eine Nutzung der Flächen als Nicht-Mitglied möglich (composesorat). Im Fall von izlaz handelt es sich bei den Flächen um ein öffentliches Gut, das von allen Einwohner*innen der Gemeinde genutzt werden kann. Verwaltet wird das Land durch den/die Bürgermeister*in oder einen gewählten Ausschuss.
In Rumänien sind auch Gemeinschaftswälder als eine Form von common land gängig. Ein Anteil von 14 % der gesamten bewaldeten Fläche des Landes ist in dem Besitz von Forstgemeinschaften (vgl. Vasile, 2015: 75). Die gemeinschaftlichen Eigentumsrechte beruhen auf langer Tradition und traten im Jahr 2000 wieder in Kraft, nachdem sie nach der Machtübernahme durch die Kommunistische Partei 1948 verstaatlicht worden waren (vgl. ebd.: 76 f.).
Der Anteil an Flächen, die sich als common land bezeichnen ließen, wird durch Privatisierung und Kommodifizierung verkleinert (vgl. Baker-Smith, 2017: 8). Von 2010 auf 2013 ist der Anteil des common land insgesamt in 15 untersuchten Ländern in Europa um insgesamt 6 % zurückgegangen (vgl. European Union, 2020).
Den regionalen Gemeinschaften wird dadurch die Macht entzogen, ihre eigenen Ressourcen zu kontrollieren bzw. sie zu nutzen. Landgrabbing wiegt in Ländern mit hohen Anteilen von common land besonders schwer, da insbesondere Kleinbäuer*innen auf die kostenfreie Nutzung von Flächen angewiesen sind (vgl. ebd.) (→ vgl. Kapitel: Finanzierung landwirtschaftlicher Flächen).
Kollektive Nutzungsrechte und Eigentumsformen von Land, Wäldern, Wasser, Saatgut, Vieh und Biodiversität sind ein wichtiges Element des Konzepts der Ernährungssouveränität (vgl. Atmer, 2015: 133).
Von den Organisationen La Via Campesina und Nyéléni wird der Zugang zu Land als eine Grundvoraussetzung für Ernährungssouveränität angesehen (vgl. Nyeleni Europa, 2011; European Coordination Via Campesina, 2018: 14f). (→ vgl. Kapitel: Ernährungssouveränität)
Auch über die genannten Organisationen hinaus setzen sich in Europa zahlreiche Organisationen, Initiativen und Nischenpionier*innen für eine gemeinsame Landnutzung ein.
Insbesondere Vertreter*innen der Nischen Bodengenossenschaften und -stiftungen, Gemeinschaftsgärten und Essbare Städte sowie einzelne Waldgärten setzten sich für den Erhalt von Land oder dessen Erträgen als gemeinschaftliches Gut ein. Dabei stehen unterschiedliche Ziele im Mittelpunkt. Bodengenossenschaften und -stiftungen wollen Land vor Spekulationen schützen und es den Landwirt*innen für die Produktion zur Verfügung stellen. Dabei können je nach Organisation, Initiative oder Projekt Motive wie eine nachhaltige Bewirtschaftung der Flächen (vgl. Terre de Liens, 2023) oder die langfristige Sicherung der Flächen als Gemeinschaftsbesitz (vgl. Ackersyndikat e.V., o. J.) besondere Relevanz haben. Gemeinschaftsgärten, Essbare Städte und Waldgärten setzen sich mitunter dafür ein, kommunale oder staatliche Flächen für die Produktion von frei zugänglichen Lebensmitteln nutzbar zu machen. Die individuellen Herangehensweisen können sehr unterschiedlich sein und von frei zugänglichen Streuobstwiesen über die Aussaat essbarer Pflanzen auf öffentlichen Flächen bis hin zu Dachbepflanzungen reichen.
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Woodin, T., Crook, D., & Carpentier, V. (2010). Community and Mutual Ownership: a historical review [Report]. Joseph Rowntree Foundation.
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