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Regionale Ernährung - Übersicht und Problemsituation

Lesedauer: Minuten

Verfasst von Helen Engelhardt, Lydia Kitz, Clara Menke

Letzte Aktualisierung: 05.06.2023

Über Jahrhunderte richteten sich Ernährungsweisen überwiegend nach den spezifischen Boden- und Klimabedingungen einer Region. Erst durch die technischen Innovationen im Transportwesen mit Einsetzen der Industrialisierung erweiterte sich der globale Lebensmittelhandel rasant. Seither wurden zunehmend auch Grundnahrungsmittel international gehandelt. Insbesondere stieg das Volumen des Weltwarenexports und anteilig die Agrarerzeugnisse seit den 1950ern deutlich an (vgl. Plöckl, 2008: 2).

Der globalisierte Lebensmittelhandel ging mit längeren Transportwegen und teilweise auch mehr Zwischenhändler*innen einher. Als Gegenstück zur Globalisierung entwickelte sich der Trend hin zur Regionalisierung, was eine Verkürzung der Wertschöpfungskette von Erzeuger*in bis Konsument*in bedeutet.

Definitionen regionale Ernährung, Regionalisierung und Short Food Supply Chains

Es werden viele unterschiedliche Begriffe für die innovative Reorganisation von Lebensmittelwertschöpfungsketten, welche auf die Annäherung von Produzent*innen und Konsument*innen abzielt, verwendet. Hierzu zählen u. a. regionale Ernährung, Regionalisierung oder im Englischen Short Food Supply Chain (SFSC), Local Food Chains (LFC), Local Food System (LFS) und Alternative Food Networks (AFN), welche an dieser Stelle einer Differenzierung bedürfen.

Zunächst wird bei der regionalen Ernährung der Fokus auf den Konsum von Lebensmitteln gelegt, die in der Region produziert und verarbeitet werden. Der Begriff “Region” ist gesetzlich nicht geschützt, und es herrscht Uneinigkeit über die genaue Definition von “Region”. Wie wird die Region geografisch abgesteckt? Gibt es dafür einen festgelegten Kilometerradius? Sollten einwohnerstarke Regionen ihren Radius größer abstecken können, da sie mehr Fläche zur ernährungstechnischen Versorgung der dort lebenden Bevölkerung brauchen? Häufig wird eine Region auf Basis der Verwaltungseinheiten/Bundesländerebene (Landkreis, Bundesland, bestimmte Naturräume) eingegrenzt. Ebenso ist offen, ob mit dem Begriff eine Ernährung gemeint ist, die zu 100 Prozent aus regionalen Erzeugnissen besteht und inwiefern alle Zutaten oder Inhaltsstoffe regionalen Ursprungs sein müssen (vgl. Hanke et al., 2021a: 6).

Ein der regionalen Ernährung nahestehender englischer Begriff ist Local Food Systems (LFS), mit dem Zusatz, dass hier das gesamte regionale Ernährungssystem in den Blick genommen wird. Auch hier erlaubt die Komplexität des Begriffs keine eindeutige Definition. In einer Studie des Joint Research Centers wird ein LFS folgendermaßen definiert: “A local food system is one in which foods are produced, processed and retailed within a defined geographical area.” (mit einem Radius von ca. 20 bis 100 km) (Kneafsey et al., 2013: 23).

Der Begriff Regionalisierung kann im Vergleich zur regionalen Ernährung eher als Gegensatz und Gegentrend zur Globalisierung gesehen werden. Er wird nicht durch einen absoluten Zielzustand beschrieben, sondern als relative Verschiebung in Richtung verkürzte Wertschöpfungsketten im Sinne der örtlichen Annäherung von Produktion und Konsum begriffen (vgl. Hanke et al., 2021a: 6).

Im Englischen spielt der Begriff Short Food Supply Chain (SFSC) eine große Rolle. Dieser wurde zum ersten Mal definiert, als die SFSCs ausdrücklich als ein Bereich anerkannt wurden, der im Rahmen der EU-Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums unterstützt werden sollte.

Die Europäische Kommission definiert Short Food Supply Chain (SFSC) (ins Deutsche übersetzt: kurze Versorgungsketten) als “eine Versorgungskette mit einer begrenzten Anzahl von Wirtschaftsbeteiligten, die sich für die Zusammenarbeit, die lokale Wirtschaftsentwicklung und enge geografische und soziale Beziehungen zwischen Erzeugern, Verarbeitern und Verbrauchern engagieren” (Art. 2, Abs. m., EU 1305/2013)[1]

Ergänzt wird diese Definition durch die EU-Verordnung (Art. 11, Abs. 1, EU 807/2014)[2]: "Die Förderung der Schaffung und Entwicklung kurzer Versorgungsketten (…) wird nur für Versorgungsketten mit höchstens einem zwischengeschalteten Akteur zwischen Erzeugern und Verbrauchern gewährt.” Auch in Frankreich wurden die SFSCs vom französischen Landwirtschaftsministerium offiziell als eine Vermarktungsform definiert, die entweder den direkten Verkauf von Erzeugnissen vom Erzeuger an den Verbraucher oder den indirekten Verkauf mit nicht mehr als einem Zwischenhändler darstellt (vgl. Augère-Granier, 2016: 3).

Aufgrund der Vielseitigkeit an besonderen Merkmalen ist das Festlegen einer einzigen Definition für das Konzept der SFSC schwierig. Živković et al. (2022: 146) argumentieren, dass es für einige regulative Kontexte vorteilhaft ist, eine flexible Definition von SFSC festzusetzen, um die Diversität an SFSCs zu inkludieren. Die Autor*innen bevorzugen daher die Definition aus der EU-Verordnung ohne die Begrenzung auf nur einen zwischengeschalteten Akteur zwischen Erzeuger*in und Verbraucher*in (vgl. ebd.).

Wunsch nach Regionalisierung: Wo stehen wir?

Fast neun von zehn Europäer*innen geben an, dass die Tatsache, dass Lebensmittel Teil einer kurzen Wertschöpfungskette sind, d. h., dass sie direkt beim Erzeuger oder bei der Erzeugerin gekauft werden oder dass es nur wenige Zwischenhändler*innen zwischen Lebensmittelhersteller*in und Verbraucher*in gibt, für sie ein wichtiger Faktor beim Kauf von Lebensmitteln sei (vgl. Europäische Kommission, 2022: 34). Auch die Fragen, ob Lebensmittel lokale Tradition und lokales “Know-how” beachten und ob sie aus einem geografischen Gebiet kommen, das sie kennen, wurden von mindestens 8 von 10 Menschen sowohl 2020 als auch 2022 als wichtig bewertet (vgl. ebd.). Hier gibt es Unterschiede zwischen den Ländern. Die Tatsache, dass bei der Lebensmittelproduktion lokale Tradition und lokales “Know-How” beachtet wurden, findet bei 97 % der Befragten auf Zypern, 94 % der Befragten in Italien, 93 % in Griechenland und 92 % in Slowenien Anklang (vgl. ebd.). In Dänemark sind es hingegen 56 %, in den Niederlanden 58 % sowie in Schweden und Lettland jeweils 68 % (vgl. ebd.). Dass Lebensmittel aus einem geografischen Gebiet kommen, das die Befragten kennen, ist für 94% in Italien, 91 % in Griechenland und auf Zypern, und jedoch nur bei 50 % der Befragten in den Niederlanden, 62 % in Dänemark und 72 % in Belgien und Litauen wichtig (vgl. ebd.).

Laut EU Agricultural Markets Briefs repräsentieren Direktverkäufe jedoch nur 2 % des Marktes für frische Lebensmittel (vgl. Europäische Kommission, 2015: 2). Den größten Anteil mit 54 % des gesamten Lebensmittelumsatzes in der EU nehmen Supermärkte, Hypermärkte und Discounter ein (ebd.). Aus Sicht der Landwirt*innen sind es rund 15 % der Erzeuger*innen in Europa, die mehr als die Hälfte ihrer Produkte direkt an die Verbraucher*innen bringen (vgl. Augère-Granier, 2016: 1).    

Ein Bericht mit mehr als 84 Initiativen, die den SFSC zugeordnet werden können, kommt zu dem Schluss, dass, während Akteur*innen aller Größen vertreten sind, es überwiegend kleine und mittelständische Betriebe sind, welche SFSC umsetzen (vgl. Kneafsey et al., 2013: 74). Sie wenden häufig ganz oder teilweise biologische Anbaumethoden an, sind aber nicht immer zertifiziert (vgl. ebd.). Es finden sich anteilig mehr SFSC-Initiativen im nördlichen EU-Raum und in Frankreich. Ab-Hof-Direktverkäufe scheinen in den südlichen EU-Ländern häufiger vorzukommen, beispielsweise in Italien und Frankreich (vgl. ebd.). Ein Viertel aller registrierten Direktverkaufsarten zählen zur Solidarischen Landwirtschaft (vgl. Infobox unten). Frisches, saisonales Obst und Gemüse, gefolgt von tierischen Produkten (hauptsächlich frisches, zubereitetes Fleisch) und Milchprodukten sowie Getränken, sind die wichtigsten Produkte, die typischerweise in einer SFSC gehandelt werden (vgl. Augère-Granier, 2016: 5).

Mit dem Selbstversorgungsgrad lässt sich festhalten, inwiefern sich eine Region durch ihre eigens hergestellten Lebensmittel ernähren kann, sprich inwiefern die Produktion die Nachfrage decken kann. In Deutschland werden mehr Fleisch, Kuhmilch, Kartoffeln, Zucker und Getreide produziert als konsumiert werden, wodurch bei diesen Produkten der Selbstversorgungsgrad bei mehr als 100 % liegt. Es werden allerdings nur 36 % der national konsumierten Gemüsemenge und 19,7 % der national konsumierten Obstmenge in Deutschland produziert.

Während mithilfe verschiedener Modelle theoretisch aufgezeigt wird, wie sich einzelne Regionen bis zu fast hundert Prozent selbst versorgen können (vgl. Zasada et al., 2019; Joseph et al., 2009), unterstreichen Hanke et al. (vgl. 2021a: 26), dass Deutschland als dicht besiedeltes Industrieland auf anteilige Lebensmittelimporte angewiesen ist, wie beispielsweise auf Südfrüchte, Soja, Reis, Kaffee, Tee, Fisch und Meeresfrüchte sowie aufgrund von saisonalen Schwankungen zeitweise auch auf Kartoffeln, Getreide, Sommer- und Wintergemüse.

Warum braucht es eine Regionalisierung?

Kurze Versorgungsketten mit weniger Zwischenhändler*innen erhöhen für Landwirt*innen das Potenzial, bessere und faire Löhne zu erhalten. Dadurch können sich die Endpreise für Konsument*innen allerdings auch erhöhen. In einem Briefing des Europäischen Parlaments wird auf die starke Ungleichverteilung der Verhandlungsmacht in der Wertschöpfungskette hingewiesen:

There are often significant imbalances in bargaining power within the food supply chain, which can lead to unfair trading practices. Small farmers or cooperatives, as well as small food processors, often deal with large buyers which represent their only access to the market and can exert strong pressure on prices and margins. They may even be forced to sell at a loss

Augère-Granier, 2016

Die Marktkonzentration wird durch folgende Daten deutlich: In Österreich, Dänemark, Finnland, Deutschland, Portugal und Schweden betrug der Anteil von den größten drei bis fünf Supermärkten am gesamten nationalen Lebensmittelmarkt zwischen 80 % und 90 %, gemessen zu unterschiedlichen Zeitpunkten zwischen den Jahren 2009 und 2011 (vgl. Nicholson, 2012: 4). 

Gemäß den Untersuchungen des Thünen-Instituts ist der Erzeugeranteil an den Verbrauchsausgaben für Nahrungsmittel im untersuchten Zeitraum von 1970 bis etwa zur Jahrtausendwende in fast allen untersuchten Produktgruppen (Brot, Kartoffeln, Zucker, Fleisch, Kuhmilch, Eier) deutlich gesunken (vgl. Institut für Marktanalyse, 2023). 

Währenddessen reduzieren sich die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe und der dortigen Beschäftigten. Von 1949 bis 2016 ist die Anzahl der Betriebe im früheren Bundesgebiet um ca. 70 % gesunken (vgl. Bundesinformationszentrum Landwirtschaft, 2020). Im Jahr 2021 gab es noch etwa 259.200 landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland (vgl. Bundesinformationszentrum Landwirtschaft, 2023: 2). Die Anzahl der beschäftigten Personen in der Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei in Deutschland ist ebenfalls von 1.167.000 in 1991 auf 561.000 Menschen in 2021 gesunken (vgl. Bundesinformationszentrum Landwirtschaft, 2023: 1).

Urbane Ballungszentren werden größer und können sich nicht selbst ernähren (vgl. Institut für Marktanalyse, 2023). Die räumliche Trennung von Produktion, Konsum und Entsorgung wächst und mit ihr die soziale und kulturelle Isolation von Landwirt*innen sowie die Transparenz und das Wissen über die Lebensmittel und ihren Entstehungsprozess. Zudem sind kleine Marktstrukturen, insbesondere in der Produktion und Verarbeitung, spätestens seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer mehr weggefallen (vgl. Bundesinformationszentrum Landwirtschaft, 2023: 2ff.; Bundesinformationszentrum Landwirtschaft, 2020). Ein möglichst regionales Ernährungssystem bedarf größerer Vielfalt des Anbaus innerhalb einer Region und braucht daher eher vielfältige, kleinteilige Strukturen (vgl. Pradhan et al. 2020, 11 f.). Dies schließt (auch handwerkliche) Betriebe und Erfassungs- und Logistikmöglichkeiten für kleine, lokal gehandelte Produktmengen ein. 

Des Weiteren spielen soziale Faktoren bei der Annäherung von Konsument*innen und Erzeuger*innen sowie weiteren regionalen Stakeholdern eine Rolle. Dazu können der Aufbau von Gemeinschaft, Verbundenheit, soziale Kohäsion, Partizipation, Mit- und Selbstbestimmung, Eigenverantwortung, Risikoteilung, Transparenz sowie Aufbau, Wahrung und Schutz von (Ernährungs-) Wissen und Esskulturen zählen.

Warum regional nicht automatisch gleich nachhaltig ist

Die Frage, ob “regional” auch gleichbedeutend mit “nachhaltig” ist, sorgt für viel Diskussion. Im Subthema Regionalisierung und Nachhaltigkeit (→ vgl. Kapitel: Regionalisierung und Nachhaltigkeit) wird dieses Thema genauer differenziert. Kurz gesagt, ist Regionalisierung nicht per se nachhaltig, sondern der Grad an Nachhaltigkeit ist abhängig von der genauen Gestaltung. Wichtige Faktoren dabei sind die Verbindung mit nachhaltigen Anbaumethoden und biodiversitätsfördernden Standards sowie die Reduzierung der Produktion und des Konsums von tierischen Lebensmitteln. Ist es ein Ziel, unabhängiger in der Region zu werden und möglichst viele der konsumierten Lebensmittel selbst anzubauen, so kann es eine Chance sein, aufgrund der Erlebbarkeit und Sichtbarkeit der Flächenknappheit weniger Futtermittel und tierische Produkte, und stattdessen mehr Obst und Gemüse anzubauen (Hanke et al., 2021: 15 f.).

Wie sieht Regionalisierung in der Praxis aus?

Es gibt verschiedene Ansätze, wie die Regionalisierung in der Praxis gefördert werden kann. Eine Klassifizierung lässt sich nach einerseits klassischen, traditionellen Formen und andererseits innovativen, neueren Ansätzen vornehmen.

Zu den traditionellen Formen gehören die Direktvermarktung (Ab-Hof-Verkauf über Hofläden, Straßenverkauf und Selbstabholer-Modelle oder Erzeuger*innen-Märkte) (vgl. Augère-Granier, 2016: 4), Subsistenzansätze (Selbsternte-, Gemeinschafts-, Balkon-, Schrebergärten) (vgl. Hanke et al., 2021: 7) sowie kollektive Verkäufe insbesondere an öffentliche Einrichtungen (vgl. Kneafsey et al., 2013: 1).

Zu den neuen sozialen Innovationen gehören Lieferdienstleistungen, Hofläden in der Stadt, Online-Bestellsysteme sowie der Absatz über soziale Medien und kollaborative Netzwerke von Erzeuger*innen, Verbraucher*innen und Institutionen. Auch Regionalmarken und Herkunftsnachweise (vgl. Hanke et al., 2021a: 7) können hier hinzugezählt werden.

In Studien wurden einige dieser sozialen Innovationen unter dem Oberbegriff “Nischeninnovationen zur Transformation des Ernährungssystems” näher beschrieben und untersucht (vgl. Wunder et al., 2018; Haack et al., 2020; Engelhardt et al., 2020). Hierzu können Bio-Distrikte, Regionalwert AGs und die Solidarische Landwirtschaft zählen, in denen mit ganzheitlichen und kollaborativen Ansätzen verschiedene Akteur*innen innerhalb der Wertschöpfungskette regional verstärkt kooperieren.

Das Konzept der Solidarischen Landwirtschaft (auf Englisch: Community Supported Agriculture - CSA; auf Französisch: Association pour le maintien de l'agriculture paysanne - AMAP, etc.) wird bereits in sehr vielen Ländern auf der Welt angewendet. Durch mehrere internationale Symposien wuchs seit 2004 URGENCI heran, ein Netzwerk, das u. a. Initiativen der Solidarischen Landwirtschaft weltweit miteinander vernetzt und vor allem im Bildungsbereich tätig ist. Bei dem innovativen Konzept schließt sich je “ein (meist ökologisch wirtschaftender) landwirtschaftlicher Betrieb oder eine Gärtnerei mit einer Gruppe privater Haushalte zusammen. Die Haushalte verpflichten sich im Voraus, einen festen Betrag zu zahlen, der die Jahreskosten der landwirtschaftlichen Erzeugung deckt. Im Gegenzug erhalten die Mitglieder jeweils einen Ernteanteil und ggf. weiterverarbeitete Produkte” (Haack et al. 2020: 80). Durch diese innovative Kollaboration können somit die Existenz der Landwirt*innen gesichert werden und die Konsument*innen mit hochwertigen, saisonalen und regionalen Lebensmitteln versorgt werden. Zudem hat die Solidarische Landwirtschaft weitere Vorteile, wie die Herstellung von Transparenz in der, die Vermittlung von Wissen über den Anbau von landwirtschaftlichen Produktion Lebensmitteln, die Pflege und die Förderung von Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität, Tierwohl, Vielfalt (samenfeste und alte Sorten, bedrohte Nutztierrassen) sowie die Verwertung von Produkten, die aufgrund von Marktnormen nicht in den Handel gelangen würden (vgl. ebd.).

Auch der Ernährungsrat bietet eine besondere Form der Mitbestimmung unterschiedlicher Akteur*innen zur Gestaltung des regionalen Ernährungssystems. Außerdem zeigen Ansätze wie Essbare Städte, wie öffentliche Flächen in der Region nachhaltig genutzt werden können, oder wie Vertical Farming, dass u.a. bei Flächenknappheit auch indoor oder in vertikalen Gewächshäusern angebaut werden kann. Auch die biointensive Landwirtschaft zeigt, wie der regionalen Flächenbeschränkung durch intensiveren Bio-Anbau entgegengewirkt werden kann (--> Link zu Subthema Erweiterung landwirtschaftlicher Flächen). Andere Verkaufsmöglichkeiten wie Food Coops und Online-Direktvermarktung können der regionalen Ernährung dienlich sein, wenn sie regional und nachhaltig ausgerichtet sind.

Wie kann die regionale Ernährung gefördert werden?

Um eine möglichst regionale Ernährung bzw. kurze Wertschöpfungsketten zu fördern, hat die EU erstmals die Förderung von SFSCs in die EU Rural Development Policy 2014-2020 als Teil der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) aufgenommen. Mit der Farm-to-Fork Strategie der EU aus dem Jahr 2020, verspricht sie, im Hinblick auf die Schaffung kürzerer Lieferketten, die Verringerung der Abhängigkeit von Langstreckentransporten zu unterstützen, um die Widerstandsfähigkeit regionaler und lokaler Ernährungssysteme zu verbessern (vgl. European Commission, 2020: 14). 

In einer Untersuchung über die Herausforderungen bei der Erfüllung der regulatorischen Anforderungen an SFSCs in neun europäischen Ländern auf der Grundlage von Erkenntnissen aus dem europäischen H2020 SMARTCHAIN-Projekt, kommen die Autor*innen zu dem Schluss, dass zum einen die zuvor genannten EU-Verordnungen nicht zur adäquaten Umsetzung in den Mitgliedsländern führen und zum anderen, dass die Farm-to-Fork Strategie die SFSC nicht systematisch und kohärent berücksichtigt (vgl. Živković et al., 2022: 147 f.).

Des Weiteren unterliegen SFSC einer Vielzahl an Vorschriften, wie Regeln zur Hygiene, Lebensmittelsicherheit, Normen, Steuern, Zertifizierung, Handel, etc. Insbesondere bilden der Verwaltungsaufwand und die Kosten verbunden mit der Lebensmittelhygieneverordnung

Hürden für kleine landwirtschaftliche Betriebe (vgl. ebd.: 140). Bei letzterer werden große Akteur*innen begünstigt. Als größte Hürden innerhalb der politischen Rahmenbedingungen wurden in den Befragungen von Živković et al. (2022: 142 ff.) unzureichende politische Unterstützung für SFSCs, ein hoher Grad an Bürokratie und ungünstige Subventionspolitik genannt.

Gefördert werden könnte Regionalität auch über eine eindeutige Kennzeichnung. Bislang ist die jedoch europaweit nicht einheitlich. Es existieren viele Herkunftsbezeichnungen und verschiedene EU-Gütesiegel, wie das EU-Qualitätszeichen „geschützte Ursprungsbezeichnung“ (g. U.) und die „geschützte geografische Angabe“ (g. g. A.) (vgl. Europäische Kommission 2023). In Deutschland gibt es seit 2014 das Regionalfenster sowie mehrere Qualitätssiegel einzelner Bundesländer.

 

Quellen | Regionale Ernährung - Übersicht und Problemsituation

 

Augère-Granier, M. L. (2016). Briefing. Short food supply chains and local food systems in the EU. Europäisches Parlament.

 

Bundesinformationszentrum Landwirtschaft. (2023). Statistisches Jahrbuch - über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der Bundesrepublik Deutschland 2022. Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. https://www.bmel-statistik.de/fileadmin/SITE_MASTER/content/Jahrbuch/Agrarstatistisches-Jahrbuch-2022.pdf 

 

Bundesinformationszentrum Landwirtschaft. (2022). Der Selbstversorgungsgrad in Deutschland. Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. https://www.ble.de/SharedDocs/Downloads/DE/BZL/Informationsgrafiken/220225_Selbstversorgungsgrad.html

 

Bundesinformationszentrum Landwirtschaft. (2020). Statistisches Jahrbuch - über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 2019. Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. https://www.ble-medienservice.de/detail/index/sArticle/1346

 

Engelhardt, H., Brüdern, M., & Deppe, L. (2020). Nischeninnovationen in Europa zur Transformation des Ernährungssystems - NEuropa. Umweltbundesamt. https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/neuropa-steckbriefe 

 

Europäische Kommission. (2023). Agriculture and Rural Development. Qualitätsregelungen erklärt. https://agriculture.ec.europa.eu/farming/geographical-indications-and-quality-schemes/geographical-indications-and-quality-schemes-explained_de

 

Europäische Kommission. (2022). Spezial-Eurobarometer 520. Die Europäer, Die Landwirtschaft Und Die GAP. Zusammenfassung. Europäische Kommission, 2022, https://europa.eu/eurobarometer/surveys/detail/2665.

 

European Commission. (2020). Farm to Fork Strategy. For a fair, healthy and environmentally-friendly food system. European Union. https://food.ec.europa.eu/system/files/2020-05/f2f_action-plan_2020_strategy-info_en.pdf

 

Europäische Kommission. (2015). EU Agricultural Markets Briefs. You Are Part of the Food Chain. Key Facts and Figures on the Food Supply Chain in the European Union. Europäische Kommission, 2015, https://agriculture.ec.europa.eu/system/files/2019-10/agri-market-brief-04_en_0.pdf.

 

Haack, M., Engelhardt, H., Gascoigne, C., Schrode, A., Fienitz, M., & Meyer-Ohlendorf, L. (2020). Nischen des Ernährungssystems: Bewertung des Nachhaltigkeits- und Transformationspotenzials innovativer Nischen des Ernährungssystems in Deutschland. Umweltbundesamt. https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/nischen-ernaehrungssystem-deutschland 

 

Hanke, G., von Mehring, F., & Wunder, S. (2021). Welche Effekte zeitigt eine Regionalisierung von Ernährungssystemen? Diskussionspapier für den Workshop „Was bringt mehr Regionalität? Einschätzung der Effekte einer Regionalisierung der Ernährungssysteme“ am 29.06.2021. Sozialökologische Transformation des Ernährungssystems. https://stern-projekt.org/sites/default/files/2022-03/STErn_Diskussionspapier_Regionalisierung%20der%20Ern%C3%A4hrungssysteme_0.pdf 

 

Institut für Marktanalyse. (2023). Die Landwirtschaft in der Lebensmittel-Wertschöpfungskette. Johann Heinrich von Thünen-Institut. https://www.thuenen.de/de/fachinstitute/marktanalyse/projekte/der-anteil-der-landwirtschaft-an-den-verbraucherausgaben-fuer-ausgewaehlte-nahrungsmittel 

 

Joseph, S., Peters, I., & Friedrich, H. (2019). Can Regional Organic Agriculture Feed the Regional Community? A Case Study for Hamburg and North Germany. Ecological Economics, 164, 106342. https://doi.org/10.1016/j.ecolecon.2019.05.022 

 

Klingelschmidt, J., Milner, A., Khireddine-Medouni, I., Witt, K., Alexopoulos, E. C., Toivanen, S., LaMontagne, A. D., Chastang, J.-F., & Niedhammer, I. (2018). Suicide among agricultural, forestry, and fishery workers: a systematic literature review and meta-analysis. Scandinavian Journal of Work, Environment & Health, 44(1), 3–15. https://doi.org/10.5271/sjweh.3682

 

Kneafsey, M., Eyden-Wood, T., Bos, E., Sutton, G., Venn, L., Schmutz, U., Balázs, B., & Trenchard, L. (2013). Short food supply chains and local food systems in the EU: a state of play of their socio-economic characteristics (F. Santini & S. Gomez y Paloma, Eds.). Publications Office. https://data.europa.eu/doi/10.2791/88784 

 

Kneafsey, Moya, et al. (2013). Short Food Supply Chains and Local Food Systems in the EU: A State of Play of Their Socio-Economic Characteristics. Edited by Fabien Santini and Sergio Gomez y Paloma, Publications Office, 2013. https://data.europa.eu/doi/10.2791/88784 

 

Nicholson, C. (2012). The relationship between supermarkets and suppliers: What are the implications for consumers? Consumers International. https://www.law.ox.ac.uk/sites/default/files/migrated/the_relationship_between_supermarkets_and_suppliers.pdf

 

Plöckl, A. (2008). Globale Lebensmitteltransportströme, Entwicklungstendenzen, Einflussfaktoren und Anforderungen im grenzüberschreitenden Lebensmitteltransport. Institut für Transportwirtschaft und Logistik, WU Vienna University of Economics and Business. Schriftenreihe des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik - Verkehr No. 04/2008. https://research.wu.ac.at/ws/files/19844692/document.pdf 

 

Pradhan, P., Kriewald, S., Costa, L., Rybski, D., Benton, T. G., Fischer, G., & Kropp, J. P. (2020). Urban Food Systems: How Regionalization Can Contribute to Climate Change Mitigation. Environmental Science & Technology, 54(17), 10551–10560. https://doi.org/10.1021/acs.est.0c02739

 

Wunder, S., Albrecht, S., Porsch, L., & Öhler, L. (2018). Kriterien zur Bewertung des Transformationspotentials von Nachhaltigkeitsinitiativen. Abschlussbericht. Umweltbundesamt, 33/2019. https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/kriterien-zur-bewertung-des 

 

Zasada, I., Schmutz, U., Wascher, D., Kneafsey, M., Corsi, S., Mazzocchi, C., Monaco, F., Boyce, P., Doernberg, A., Sali, G., & Piorr, A. (2019). Food beyond the city – Analysing foodsheds and self-sufficiency for different food system scenarios in European metropolitan regions. City, Culture and Society, 16, 25–35. https://doi.org/10.1016/j.ccs.2017.06.002 

 

Živković, L., Pešić, M. B., Schebesta, H., & Nedović, V. A. (2022). Exploring regulatory obstacles to the development of short food supply chains: empirical evidence from selected European countries. International Journal of Food Studies, 11(2), SI138–SI150. https://doi.org/10.7455/ijfs/11.SI.2022.a2 

 


[1] EU-Verordnung 1305/2013 vom 17. September 2013

[2] EU-Verordnung 807/2014 vom 11. März 2014

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